Endlich mal ein noch nie da gewesenes Thema
Ich zitiere mal aus GEO Extra 1996/2, S. 180f.
James Nachtwey schrieb:
Ein gutes Foto intensiviert eine Erfahrung. Es destilliert Bildinformation auf ihre Essenz. Durch die Wahrnehmung und die Auswahl des Fotografen erschafft es eine Welt in der Welt, mit einer eignen Logik. Manchmal muss der Betrachter sich ruhig in ein Bild hinein begeben, manchmal packt ihn das Bild und reißt ihn hinein.
Gut wird ein Foto, wenn eine spezifische Logik zwischen jedem seiner Teile besteht. Wenn diese Verbindungen halten, ist ein Geheimnis geschaffen, eine Frage gestellt, eine poetische Wahrheit erkannt.
Aber all diese Worte sind vergeblich, weil sie etwas Undefinierbares definieren sollen. Ob ein Foto funktioniert, entscheidet sich am Besten im Herzen eines jeden Betrachters.
Womit wieder mal belegt wurde, was die Römer schon wussten:
de gustibus non est disputandum. Auf neudeutsch: wtf?
Alles andere ist wenig zielführende Suche nach dem Heiligen Gral, das Aufwärmen der altgriechischen Forderung, ein gutes Bild habe schön und wahr zu sein, etc, bla bla.
Demokratisch ist ein gutes Bild jenes, das die meisten Zeitungen oder Drucke oder Klicks verkauft. Sehgewohnheiten sind eine kulturelle Angelegenheit, die Erweiterung dieses durch kommerzielle Interessen verengten Kanals nennt sich hierzulande Kunst. Da die Qualitäten von Werken meist durch Medien manifestiert werden (wer wüsste schon, dass Rhein II ein "gutes Bild" ist, wenn es nicht durch Rekorderlöse in die Medien gerutscht wäre?), kann man getrost annehmen, dass gute Bilder von geschäftssinnigen Agenturen (Magnum, um die Cappa/HCB Blase wieder einmal anzusprechen) oder durch geschäftssinnige Unternehmen angestachelte Medien (der Leica Mythos als Marketing Gag) erzeugt werden. Diese guten Bilder werden weiter vorne gedruckt, erhalten mehr Publikum, formen die Sicht einer Generation, einer Gesellschaft, einer Kultur.
Abweichungen von der Normsicht benötigen entweder eine Erklärung (als "Kunst" im Sinne des Galeristen-Geschäfts darf man auch Leichtenteile zeigen) oder einen 'guten' Grund (man darf auch Leichenteile im Trümmerfeld eines Flugzeugabsturzes zeigen). An dieser Initialzündung orientiert sich dann dass Echo der -- nun kommen wir auf diese Plattform -- Amateure, die sich durch den Erwerb einer Kamera bereits im Olymp der Bilderzeugung wähnen. Die reproduzieren nun akribisch, was ihnen aus den Medien vorgesetzt wird, weil sie sich dem längst bekannten Bild nur auf technischer, nicht aber philosophisch-inhaltlicher Ebene zu nähern bereit oder imstande sind.
Der Irrtum wird von allen Facetten jeder der beteiligten Industrien intensiv gefördert -- man will ja die nächste Generation an Produkten verkaufen, kein Wissen und schon gar keine Künstler erzeugen. Und weil der visuelle Lärm nirgendwo mehr (im "Westen") verebbt, wird jedes Bild jedem Bild immer ähnlicher und somit definiert sich dessen Güte durch Erosion und damit Adaption.
Gestalterisch ist ein Bild dann gut, wenn es beim Betrachter "ankommt". Ob man fade im Goldenen Schnitt bleibt, oder sich einen dramatischeren Schnitt erlaubt, ist weitestgehend unerheblich. Je weiter man sich jedoch von 0,608 entfernt, desto schwieriger wird es für die Betrachter, Harmonie zu finden. Da fehlende Harmonie als "schlechte Neuigkeiten" gelten und sich diese schlechter verkaufen als gute, strebt der marktorientierte Bildgestalter nach den schlichten Schnitten, vom Goldenen über die Dreierteilung bis was immer Photoshop auf Verlangen über das Bild blendet.
Und so werden täglich spannende Bilder von Bildredakteuren auf ein Maß gestutzt, das dem Massengeschmack zuträglicher scheint. Weil beim Geld der Spaß aufhört, gibt es selten Änderungen in der Bildredaktion -- es genügt also völlig, sich eine beliebige einigermaßen erfolgreiche Postille (Stern, Spiegel, Bild, Playboy, …) zu greifen und auf die Konsumentenästhetik des frühen 21. Jahrhunderts abzuklopfen, wenn man wissen will, was die Menge jenseits des eigenen Herzens als "gutes Bild" auffasst.
Ironischerweise sind es gerade diese unzähligen Bilder, die von der Industrie wieder als Vorgabe für intelligente Belichtungs- und Fokussysteme genommen werden und somit wird durch die werksseitig eingebauten Automatismen die technisch besseren Bilder jene, die in der Komposition dem gängigen Durchschnitt der untersuchten Bilder entspricht.
Circulus Vitiosus, den zu brechen einiges aqn Anstrengung erfordert. Aber wie heißt es so schön: der Pfad in die Hölle ist gut gepflastert. Das gilt auch für das "gute" Bild
