Ich war gestern zu einer Präsentation der E-M1X in Seoul/Südkorea und konnte mit der Kamera ca. 15 min. mit eigener Speicherkarte drin ein wenig spielen und fotografieren. Die X kommt für mich zwar nicht in Frage (zu teuer, zu schwer, einfach nicht nötig), ausprobiert habe ich sie trotzdem, folgendes ist mir aufgefallen:
1.) ich bekam sie mit dem 4/300 dran in die Hand und sie wäre mir beinah aus selbiger gerutscht. Das Teil ist schwer… Später mit dem 12-100 drauf relativierte sich das, sie läßt sich sehr angenehm und im Grunde bequem halten. Griffausformung und Balance mit den PRO-Brummern sind nahezu perfekt. Man hat nach wenigen Minuten das Gefühl, nie was anderes in der Hand gehalten zu haben.
2.) alle Bedienelemente liegen für meine (mittelgroßen) Griffel sehr gut, insbes. der AF-Joystick ist wirklich blind zu bedienen, Nutzerfreundlichkeit hat bei der Gestaltung eindeutig ganz oben gestanden. Konfigurierbarkeit ist aus meiner Sicht jenseits des Erforderlichen, so lassen sich aber auch die abwegigsten Vorstellungen meist immer noch irgendwie umsetzen. Heißt aber auch, daß man sich wirklich intensiv mit dem Ding beschäftigen muß und gewisses Frustpotential entstehen kann, wenn man sich in den Menütiefen verirrt. Mit zunehmendem Funktionsumfang wird das immer schwieriger. Manko ist (wie auch von vielen Reviewern angemerkt), daß man die neuen AF-Tracking-Funktionen nur übers Menü aktivieren kann und es keinen short-cut über eine Fn-Taste gibt.
3.) das Gehäuse ist überaus solide und vermittelt neben den objektiv ermittelbaren Kriterien (Dichtigkeit etc.) haptisch den Eindruck, hier ein sehr halt- und belastbares Werkzeug zu benutzen. Alle Schalter, Rädchen und Verriegelungen gehen genau mit dem nötigen Widerstand, ohne schwergängig oder wabbelig zu sein. Einzige Ausnahme: warum man das vordere Einstellrad vom Auslöser getrennt hat, erschließt sich mir nicht (angeblich ließe sich bessere Dichtigkeit erzielen, las ich irgendwo). Der Zeigefinger braucht einen deutlich längeren Weg dahin und zurück, parallel mit dem Mittelfinger das Rädchen zu bedienen, konnte ich nicht. Fällt umso mehr auf, weil die Kamera jeden Befehl rasend schnell umsetzt und man mit dem Finger länger braucht, um den Auslöser wieder zu erreichen.
4.) Die Auslöserbedienung und der Verschlußablauf sind ein Traum ! Bei der E-M1 Mark II wird ja häufig der überempfindliche Druckpunkt kritisiert – das ist weg. Der Knopf hat exakt den Weg und den Widerstand, daß man ihn von Anfang an intuitiv bedient. Der Verschluß geht leise und gedämpft, es ist eine reine Freude !
5.) der S-AF ist nochmal schneller. Ich konnte weder C-AF noch das Tracking, geschweige denn die neuen Sport-Algorithmen testen (nur Innenraum ohne entsprechende Motive), der normale und auch der Gesichtserkennungs-AF sitzen wirklich blitzschnell und zuverlässig.
6.) überhaupt ist Geschwindigkeit DAS Thema: wie Hase und Igel – die Kamera ist immer schon da…
7.) den Sucher empfand ich auch unter Kunstlichtbedingungen als völlig ausreichend und verzögerungsfrei. Klar – mehr Pixel sind immer besser, aber aus Nutzersicht für wirklich nötig erachte ich es nicht.
Die Kamera ist ein Nischenprodukt in der ohnehin existierenden MFT-Nische mit einem sehr speziellen Appeal und wird auch deshalb kontrovers diskutiert. Vergleiche mit anderen Anbietern sind aus meiner Sicht nur sehr bedingt möglich und münden häufig in einer Diskussion über die Systemvor- und Nachteile, die ergebnislos bleibt. Ein Nutzer, der weiß, was ihn erwartet und die Grenzen des Systems kennt, erhält mit der X ein universelles und sehr hochwertiges Produkt mit sicht- und spürbarer Langzeitqualität und einem Funktionsumfang (auch abseits der vieldiskutierten Action-Tauglichkeit), der seinesgleichen sucht. Vieles davon gibt’s auch bei den Wettbewerbern, manches gar nicht (Keystone, Live Composite). Die Bildqualität ist (Objektive mal außen vor) an den Sensor und den Prozessor gebunden und in der Hand des Kundigen mehr als herzeigenswert, aber unterscheidet sich letztlich nicht von der E-M1 Mark II. Freistellungsfetischisten müssen sich anderswo bedienen, wobei mir die Fixierung darauf mitunter schleierhaft ist (nur ein Auge im Gesicht scharf ist doch auch nicht schön…?). Ob MFT ein oder anderthalb oder sonst wieviel EV Nachteil bei der Dynamik oder beim Rauschen hat, ist mir wumpe. Profis unter Extrembedingungen sehen das vllt. anders.
Die Gesamtkombination ist durchaus attraktiv, ob sie der (zugegeben kleinen) Zielgruppe 3000 Euro wert ist, wird der Markt in Bälde zeigen. Ich kann mir vorstellen, daß ein paar Leute zumindest nachdenken, ob es wirklich so cool ist, doppelt so schweren Krempel mitzuschleppen, um einen Unterschied in der Bildqualität zu erzielen, den die Masse der Betrachter erst nach explizitem Hinweis sieht, um dann zu sagen: „is aber trotzdem ein nettes Bild !“. Aber das mögen die Meßtechniker hier sicher anders bewerten…
Zum Schluß (quasi als Disclaimer…) eine Einordnung: ich benutze MFT-Olympus-Kameras hobbymäßig seit 2011, hatte sowohl E-M5 als auch E-M1 quasi vom Tag ihres Erscheinens an und bin aktuell mit einer PEN-F unterwegs. Ich mag die Technik und den Nischencharakter von Olympus, bin kein Fanboy und sehe die Apparate als Werkzeug, ohne den emotionalen und ästhetischen Faktor bei deren Benutzung komplett zu ignorieren. Mir ist Pixelpeeping genauso fremd wie Ziegelmauern als Motiv, ich fotografiere auch keine Satansbeschwörungen im Kohlenkeller mit sechsstelligen ISO. MFT als Sensorgröße hat unbestreitbare Einschränkungen, die dafür vorhandenen Vorteile des Gesamtsystems (die ich hier nicht diskutieren will) wiegen für mich so schwer, daß ich bisher keinen Grund habe, einen Systemwechsel anzustreben.
Just my 2 cents…