Was ich nicht verstehe:
Der größte Teil der User hier fotografiert in RAW, weil man ja mehr Freiheiten
und Reserven bei der Nachbearbeitung hat, und trotzdem sehen sie es als
Negativkriterium an, dass genau diese Freiheit jetzt ein Nachteil wäre.
Genau wie beim alten Negativ und dem digitalen RAW-Bild entsteht doch
nach der Entwicklung/Bearbeitung erst das eigentliche Bild.
Und das wird sich doch durch die neue Technik auch nicht ändern.
Der Fotograf setzt den Schärfepunkt und damit entsteht auch sein Bild
und er entscheidet, wie andere dieses Bild betrachten sollen.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die höheren Auflösungen der
zukünftigen Sensoren nun nicht mehr einfach in Pixel gesteckt werden,
die kein Mensch braucht, sondern eben in dieser neuen Technik aufgehen.
So kann ich mir gut einen zukünftigen 30-40 MP Sensor vorstellen,
der effektiv mit vielleicht 10-15 MP arbeitet, während der Rest der Pixel
für die Tiefeninformationen verwendet wird.
Das ganze verpackt in ein schönes Gehäuse mit Wechselbajonett.
Also mir gefällt diese Vorstellung.
Genau so sehe ich es auch!
Mir persönlich gefällt die MÖGLICHKEIT, als Fotograf den Betrachtern MANCHER meiner Bilder eine kleine interaktive Entdeckungsreise ermöglichen zu KÖNNEN - aber nicht zu müssen. Also beileibe nicht für alle Bilder, nicht für jedes Motiv. Sondern dort, wo es passt!
Ungeachtet der Vorstellungen Lytros wird sich ein hermetisch abgeschlossenes Geschäftsmodell ausschliesslich in der proprietären Ökosphäre des Kameraherstellers nicht durchsetzen. Selbstverständlich wird es spätestens bei Auslieferung der ersten Kameras sofort Software-Hacks geben, um "fertig entwickelte" Bilder mit vom Fotografen in Lage und Ausdehnung festgelegter und fixierter Schärfezone als .jpg speichern zu können! Und ebenso natürlich wird auch der Aus-Druck auf "Papierbilder" möglich werden, auch wenn mir das persönlich absolut nicht abgeht und dem Großteil der Zielgruppe für die erste Generation an Lytro cams wohl auch nicht.
Für mich sind Lichtbilder durch und durch fotonenbasiert und "ephemer" - dieser Aspekt gefällt mir "philosophisch" am besten an der Lichtfeld-Technik. Auch damit halten wir Fotografen weiterhin - "konservativ" im wahrsten Sinne des Wortes! - wie schon seit Daguerre gewohnt, einen kurzen oder auch längeren "moment in time" fest. Aber im Unterschied zu bisher - noch stärker als "schwebende Möglichkeitsmenge", nicht als von vornherein punktgenau fixiertes Ergebnis. Sondern als "Informationswolke", aus der wir dann eine ganze Vielfalt an möglichen, unterschiedlichen Fotos/Lichtbilder gewinnen können. So, wie ich heute ab und zu im Fotoarchiv auf ein älteres RAW-Bild stosse, und es heute zu einem erheblich anderen "fertigen Bild" als beim ersten Mal entwickle, wenn ich das will und wenn sich das Bild dafür eignet. Diese Möglichkeitsmenge wird um einen "Qualitäts-Sprung" grösser, wenn man auch die gesamte räumliche Information der Motivszene auf eine Art und Weise verwenden kann, die wir uns heute noch nicht einmal komplett vorstellen können! Das wird noch unglaubliche visuelle Möglichkeiten eröffnen. Und wenn die Technik auch für Bewegtbilder kommt, wird es nochmals dramatisch interessanter.
Klar ist, dass gute Fotografen auch mit Lichtfeld-Technik weiterhin bessere Bilder generieren werden als weniger gute. Es wird auch weiterhin von Vorteil sein, bereits vor bzw. bei der Aufnahme eine klare Idee und Vorstellung von [zumindest einem! ] fertigen Bild zu haben.
Und natürlich werden Leute wie ich, die schon mit der Ausarbeitung herkömmlich-schlichter, platt zweidimensionaler RAW-Dateien heillos ge- und überfordert sind, durchaus auch ihre Probleme haben. Das Lichtfeld ist schliesslich ein 4-dimensionales Konstrukt, wie ich selbst mit meinen sehr unzulänglichen Vorkenntnissen nach nächtlichen Lektüre der sehr lesenswerten Dissertation des Herrn Ng entnehmen kann. Das ist im Detail ganz schön "kompliziert" ... und die optischen Gesetze gelten weiterhin uneingeschränkt, aber es gibt jetzt einen neuen, eleganten Weg durch und manche Aspekte viel fluider, mit viel mehr "Freiheitsgraden" handhaben zu können als bisher. EBV mit Photoshop & Co. wird dadurch keineswegs einfacher werden, wenn man zusätzlich auch noch Schärfezonen festlegen und nach Herzenslust im Bild "herumscheimpflugen" und "3D-en" kann ...
Das wird zwar bei mir und anderen Heulen und Zähneknirschen verursachen, aber daran soll und wird es im Großen nicht scheitern. Wenn ich nicht viel Gescheites damit zusammenbringen sollte, wird es schon Könner geben, die das sehr wohl schaffen!
Neben den wahrhaft revolutionär neuen Gestaltungsmöglichkeiten, ist die Lichtfeld-Technik aber durchaus auch als blosses "fotografisches Werkzeug" willkommen, mit dem wir nicht nur wie derzeit bei RAWs nur die Belichtungsparameter eines aufgezeichneten Bildes in erheblichem Umfang "korrigieren" bzw. ändern können [bis zu +/- 3 EV mit oft durchaus tolerierbaren Kompromissen], sondern endlich auch die Schärfenzone! Schon wegen läppischer 2% Abweichung beim Fokussieren - z.B. 102cm statt 100cm - kann das inhaltlich beste Bild für die Tonne sein, weil es zu unscharf ist. Die "Reparaturmöglichkeit" von Aufnahmefehlern (egal ob seitens des Fotografen oder der trotz aller AF-Fortschritte noch immer nicht 100% exakten Bildaufzeichnungsgeräte) ist natürlich nur ein vergleichsweise kleiner Nutzen der Lichtfeld-Technologie, auch wenn das Lytro derzeit als USP besonders betont, weil es auch für jeden "Gelegenheits-Knipser" sofort nachvollziehbar ist. Dafür alleine tauscht aber wohl keiner von uns seine 12, 18 oder 21 Megapixel-Kamera gegen eine mit 0,5 bis max. 1,5 Megapixel ein, auch wenn dahinter "11 Mega-Rays"stehen.
Auch wenn es noch etwas dauern wird: ich gehe davon aus, dass es in wenigen Jahren 200+ Megapixel KB-Sensoren geben wird [jetzt macht auch das Canon-Muster mit 120MP auf APS-H jede Menge Sinn!] und Lichtfeld-Technik dann in jedes anständige Bildaufzeichnungsgerät Einzug hält, genau so wie zuvor schon fotografische Werkzeuge und technische Assistenz-Systeme: Belichtungsmessung, Belichtungsautomatik, mechanische Bildstabilisatoren und Autofokus-Systeme. Wenn dann z.B. 20 Megapixel "echte Auflösung" übrig bleiben und zusätzlich volle Gestaltungsmöglichkeit der Schärfenebene und Schärfenausdehnung NACH der Aufnahme - etwas das derzeit auch mit der fettesten optischen Bank NICHT möglich ist (!) - ist das doch großartig!
Für mich ist das nach dem ersten "Killer-Nutzen" der digitalen Fotografie, der sofortigen, globalen Bildverfügbarkeit unmittelbar nach Aufzeichnung dann der zweite singuläre Riesenvorteil. Und die mit der Lichtfeldtechnik mögliche, noch aktivere Einbeziehung der Rezipienten unserer Lichtbilder - als künstlerisches Element - ist dann der dritte originäre Nutzen der digitalen Lichtbildnerei gegenüber der chemisch-analogen früherer Tage.
Deshalb halte ich die Lichtfeld-Technik für einen Riesenschritt in Richtung
Lichtbildner-Paradies auf Erden. Und auf den englischen Begriff "image creators paradise" melde ich gleich schon einmal das Copyright an.
