Meine Entschuldigung an alle Sachsen - ich habe mich nur gefragt, ob das eine besondere regionale Ausprägung von Toleranz ist, die mir da geboten wurde, als mir dieser Karren über die Zehen rumpelte, gesteuert von jemand, der sich die Toleranz auf die Fahne geschrieben hat.
Ich bin Rheinländer und eine andere Art dieser seltenen Pflanze gewohnt.
Ja, zum Kuckuck, wie soll man denn Ästhetik objektivieren? Alle bisherigen Versuche haben keine ewigen Wahrheiten zutage gefördert. Und worüber bitte sollte man denn diskutieren, wenn Ästhetik objektivierbar wäre?
Meinetwegen hat es etwas metaphysisches, wenn ich behaupte, dass Ästhetik sich zwischen den Polen
Ordnung <-> Chaos
abspielt. Zu viel Ordnung ist Langeweile, zu viel Erfüllung der Erwartungen des Betrachters ist Kitsch, zu viel Suhlen im allgemeinen Konsens gebiert visuelle Eintagsfliegen.
Zu viel Chaos erweckt nur Verwirrung, ist bloße Beliebigkeit, enthält keine gestalterische Substanz.
Je aufgeschlossener und kunstliebender mein Publikum, desto mehr Spannung verträgt es, um so unbewusster und indifferenter es in ästhetischer Hinsicht ist, desto mehr verlangt es nach visueller McDonalds-Kost, nach Affirmation, nach Bestätigung und Wiederholung des bereits tausende Male gesehenen.
Ähnlich verhält es sich, so behaupte ich nach jahrzehntelangen und ununterbrochenen Lernprozessen in diesem Gewerbe, mit der Formatwahl: Was für Formate wähle ich, wenn ich frei bin von Vorgaben und die Qual der Wahl habe? In der Regel neigt man zu altbekannten Seitenverhältnissen, die es einem möglichst bequem machen. Und landet dann bei lauwarmen Proportionen von der Stange.
Was ich schätze am Format 3:2 ist, dass es einfach unbequemer und entschiedener ist, als das 4:3-Format des Fernsehprogramms - ja, jetzt kommt 16:9, ich weiss - aber so schnell ist unsere Gewohnheit nicht, in unseren Köpfen ist immer noch alles 4:3.
Im Anhang ein Formatvergleich, der recht repräsentativ darstellt, wie es mir regelmäßig geht, wenn ich ein Bild gestalte: Quadratnahe Formate reizen zu Aufbrüchen dieser Regelmäßigkeit durch betonte Asymmetrie und gehen mir gut von der Hand, dann kommt 4:3 und ab 3:2 wird es wieder interessant. Ein "Handtuchformat" zwingt mich dazu, mehrere Elemente in meine Bildkomposition aufzunehmen, und da ich Extremformate als Betrachter nicht so leicht mit einem einzigen Blick erfassen kann, kommt ein Hauch der vierten Dimension in meine Bilder: sie beginnen zu erzählen!
Unsere Wahrnehmung ist nämlich ganz unphotographisch: Wir setzen chronologisch nacheinander aufgenommene Wahrnehmungen erst in unserem Gehirn zu einem Bild zusammen. Extremformate nehmen wir ähnlich wahr, und das ist eine große Chance für uns Alchimisten der Zweidimensionalität, und eine große Kunst.
Aber ein Bild, dass nur abbildet und nicht erzählt, ist ein totes Bild.