Von der Theorie zurück in die Praxis: Genau den Schritt habe ich gemacht.
Mitte letzten Jahres hatte ich von der Hassi 2000fcw mit vier Objektiven nach 15 Jahren fröhlicher bis mühsamer Arbeit die Nase gestrichen voll, alles verkauft und durch eine D800E ersetzt. Den Ausschlag gaben für mich vor allem wiederholt auftretende, mechanische Probleme mit allen drei Magazinen, die mir viele Aufnahmen unwiederbringlich versaut hatten und kostspielige und nervige Wartungsorgien an den Objektiven. Wenn euch jemand was erzählen will, dass Hasselblads toll und zuverlässig seien, nur die 2000er nicht, schickt den ruhig mal zu mir. Alles hat Probleme gemacht, nur das gern geschmähte Gehäuse nicht.
Im Ergebnis: Wenn man so arbeitet, wie man es von der Hasselblad gewohnt ist, mit Stativ, Kabelauslöser, sorgfältig eingestellt, Spiegel vorausgelöst, nur beste Optiken, erreicht man die technische Qualität des analogen Mittelformats. Gar keine Frage. Die Dynamik ist auf einem Niveau, dass die Arbeit mit Film vergessen lässt, wenn man mal verstanden hat, wo die Unterschiede liegen. Einmal umdenken und weiter. Die Anmutung ist direkt aus der Kamera grottig. Wenn man weiß was man will und mit seinen Werkzeugen umgehen kann bekommt man es aber hin und kann sich über ausgezeichnete Bildergebnisse freuen. Ich vermisse nichts.
Die Voraussetzungen für den Wechsel waren bei mir aber in so fern besser, dass ich bei mir bereits über die Jahre einige penibel ausgewählte Festbrennweiten aus dem Nikon-Programm angesammelt hatten, was sich jetzt auszahlt.
Der Knackpunkt sind tatsächlich die Objektive. Man sieht plötzlich hässlichste Abberationen, die man vorher nur geahnt hat und kann sich darüber Gedanken, wie man die bei der Aufnahme oder auf dem Weg zum endgültigen Bild los wird. Da herrschte vorher auch beim analogen Mittelformat gnädige Naivität, wenn das Negativ mal nicht ganz die Detailzeichnung hatte, die man sich gewünscht hat. War halt so. Lag vielleicht am Stativ... oder am Objektiv... oder der Filmplanlage... wer weiß. Dann hat man den Abzug eben nicht so aufgeblasen. Jetzt sieht man oft exakt was los ist und einige Objektive sind mit der Aufgabe einfach überfordert. Fast alle sind für optimale Leistung auf einen engen Blendebereich eingeschränkt. Keine wirkliche Neuigkeit, die aber jetzt richtig zum Tragen kommt.
An dieser Stelle kann Nikon mit den bessern Objektiven von Zeiss tatsächlich nicht mithalten mit einigen der schlechteren aber durchaus. Mein C-Distagon 4/50mm hatte z.B. auch erst bei f11-16 scharfe Ränder und das 5,6/250mm eine recht maue Detailzeichnung.
Man muss auch nicht jetzt für jedes Objektiv die Tausender auf den Tisch legen, um hier Abhilfe zu schaffen. Im Gegensatz zu den Mittelformatsystemen ist es bei Nikons Streubreite an optischer Güte nur wesentlich schwerer und langwierig die Spreu vom bezahlbaren Qualitätsweizen zu trennen. Auch keine echte Neuigkeit...
Als Ersatz für das 50mm an der Hassi würde ich Dir übrigens dringend eine kürzere Brennweite empfehlen als die genannten 35mm. Das wäre ein guter Ersatz für ein 60mm. Die Bildgestaltung im Quadrat ist anders, ich nehme für die Wirkung des 50mm Distagons ein 28mm an FX. Die Leistung meines alten 2/28mm Nikkors reicht im optimalen Blendenbereich 8-11 dafür völlig. Hier sind nur noch die extremen Ecken geringfügig weich. Das neue 1,8/28mm AFS soll insgesamt nochmal besser abschneiden und bleibt bezahlbar.
Von der reinen Auflösung und Detailwiedergabe des Gehäuses her braucht man sich übrigens keine großen Gedanken zu machen: Die D800E mit einer guten FB liefert hier mehr als ein moderner 100ASA SW-Film auf 55mmx55mm. Z.B. reproduziere ich meine alten Negative mit der D800E mit einem alten Tamron-Makro vom Leuchtkasten und wenn ich die Ergebnisse ausdrucke, sind diese detailschärfer als das, was ich analog mit besten Optiken aus dem Vergrößerer erzeugen kann. Die D800E begrenzt hier in keiner Weise obwohl hier das volle Quadrat im Rechteck des Sensors aufgenommen, also nochmal gecropt wird.
Nicht vergessen darf man eines: Die D800E ist immens universell und ersetzt für meine Fotografie neben der Mittelformatkamera auch noch das unverzichtbare Kleinbildsystem und die (selten gebrauchte) Filmkamera. Das muss man nicht nur schleppen, für mich war auch wichtig, dass man das alles warten muss. Siehe oben. Die Intervalle sind bei den Nikons hier nach meiner Erfahrung länger als bei Hasselblad, die Wartung günstiger und vor allem: Ein System macht immer weniger Aufwand als zwei.
Insgesamt sind die Erfahrungen auch nach einem halben Jahr noch relativ frisch aber ich fotografiere mit der D800E schon mal wesentlich mehr und dann hoffentlich auch in Bezug auf das Bildergebniss besser. Rein von der Technik fühle ich mich aber schon jetzt gut aufgehoben. Für die gelegentliche Gelüste Film zu belichten und zu vergrößern habe ich ja unter anderm noch zwei FM2.
Viele Grüße
Stefan