Ich bin zwar immernoch der Meinung, dass der Begriff "Müll" zu harsch und die 98% zu hoch gegriffen sind, aber ich verstehe nun auf jeden Fall deinen Ansatz.
Natürlich waren die zu harsch, aber manchmal muss man seiner Meinung eben etwas Nachdruck verleihen wenn sie nicht in der Masse untergehen soll.

Im Grunde genommen ist es auch nicht böse gemeint, aber diejenigen die solche Bilder wie die in der gezeigten Strecke gleich aufgrund mangelnder technischer Qualität und angeblicher Bedeutungslosigkeit verteufeln (mit dem faden Nachgeschmack von "das kann ich mit meinen 30Mio Pixeln und 5 Blitzen doch viel besser, warum wird dem seine Strecke da gezeigt") sitzen leider im selben Boot.
Eines schönen Tages wirst du hoffentlich ein Bild finden, dass laut der ausgesprochen strikten und scheinbar streng einzuhaltenden Kriterien in den ranzigen 98% landet, dich aber trotzdem umhaut.
Die Frage ist dann: Wirst du an deiner Sichtweise was ändern oder an dem dogmatischen in Schubladen stecken anhand dieser Kriterien? (Hoffentlich müssen wir für Diskussionen nicht ständig hin und her provozieren

)
Mit Sicherheit werde ich das und habe ich wahrscheinlich auch schon.
Auch sind diese Kriterien natürlich nicht in Stein gemeiselt (man betrachte z.B. die Gemälde von Edward Hopper der viele dieser Kriterien nicht in Fotos sondern Gemälden wieder aufgreift - sofern möglich), aber dennoch schadet es nicht sich mal grob daran zu orientieren und mit den Möglichkeiten und vor allem den Einzigartigkeiten die die Fotografie einem bietet auch mal etwas "einzigartigeres" zu schaffen.
Was wir aber unbedingt aussen vorlassen sollten ist der Kunstmarkt:
Das ist (neben seiner offensichtlichen "Perversion" und "Abartigkeit") noch einmal etwas ganz anderes.
Deswegen ist es auch (sorry) vollkommen sinnbefreit gleich mit dem "Ja, der elitäre Kunstmarkt mag sowas halt"-Argument zu kommen.
Sicherlich gibt es viele Künstler die nur für ne Markt "produzieren" (Koons, Gursky etc.), aber das Gros der Künstler tut dies aus reiner innerer Überzeugung.
Szarkowsky hatte z.B. meines Wissens nach nie etwas mit dem Kunstmarkt direkt zu tun. Er war Kurator diverser großer Ausstellungen in Museen (MoMa unter anderem), Fotograf, Wissenschaftler und Kunsthistoriker.
Auch viele der großen zeitgenössische Fotografen (z.B. Eggleston, Goldin, Arbus, Bresson, Paar, Sternfeld etc.) hatten überhaupt keine fotografische, geschweige denn eine kunstgeschichtliche Ausbildung. Und auch wenn manche später ganz gut am Kunstmarkt verdienten und es teilweise heut noch tun, so sind deren Intentionen mit Sicherheit nicht monetärer Natur.
Oder um es mit den Worten von Goldin und Eggleston auszudrücken:
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ZEITmagazin: Sie haben gesagt, dass William Eggleston Dinge sieht, die Sie nicht sehen. Ist das das Wichtigste für einen guten Fotografen: Dinge zu sehen, die andere nicht wahrnehmen?
Goldin: Es ist keine Frage, dass William allen die Augen öffnet, allen Menschen, die aufmerksam genug sind, um zu schauen. Ich glaube, dass wirkliche Künstler der Welt etwas geben, ohne das sie sehr leer wäre. Echte Künstler müssen arbeiten, sie können gar nicht anders. Das ist der Unterschied zu vielen jungen Künstlern, die über alles einen Witz machen müssen, viele von ihnen sind so voller Zynismus. Als ich das erste Mal eine Ausstellung von jungen britischen Künstlern sah, dachte ich, das ist wie eine Gameshow oder wie Karneval. Sie nehmen nichts ernst, ich glaube, sie nehmen nicht einmal sich selbst ernst. Sie orientieren sich zu sehr am Markt. Andere dagegen können nicht überleben, wenn sie nicht arbeiten. Deswegen bin ich im Moment in einer Krise, weil ich nicht fotografiere.
ZEITmagazin: Wie ist es zu dieser Krise gekommen?
Goldin: Ich fotografiere nicht mehr viel, weil ich wenig sehe, was schön genug ist, um fotografiert zu werden.
Eggleston: Ich weiß, was du meinst.
Goldin: Du kennst das auch?
Eggleston: Ja.
Goldin: Ich bin vorgestern aus Moskau zurückgekommen. Dort habe ich seit Langem wieder einmal fotografiert, das hat mich sehr glücklich gemacht. Es hat geschneit zur magischen Stunde, der letzten Stunde vor der Dunkelheit, das war wunderbar.
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ZEITmagazin: Wie meinen Sie das, Frau Goldin, was Sie eben gesagt haben: Die jungen Künstler orientieren sich zu sehr am Markt?
Goldin: Ich selbst hatte vom Markt nichts gehört bis 1979. Ein Maler in einer Schwulenbar erzählte mir damals zum ersten Mal davon, von Mailand und Düsseldorf und all den anderen wichtigen Orten. Aber erst zehn Jahre später habe ich die Beziehung zwischen Kunst und Markt wirklich verstanden. Ich trat aus meiner Galerie in der 56. Straße in New York und sah, dass nebenan eine Gucci-Filiale aufgemacht hatte. Ich weiß noch genau, wo ich stand, als ich kapierte, es geht um Geld. Es war, als würde man zum ersten Mal Kaffee riechen. In der Kunsthochschule, wo ich studiert hatte, ging es nie um Geld. Meine Professoren haben mir vor allem beigebracht zu trinken, und dann saßen wir zusammen und sprachen über Kunst. Damals an der Kunsthochschule war ganz klar: Wenn du ein Künstler wirst, wirst du immer arm bleiben. Wir wussten nicht, dass es einen Markt gab, vielleicht gab es auch keinen in den Siebzigern.
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Goldin: Ich sage den Studenten: Wenn ihr keine Bilder machen müsst, dann macht keine. Echte Künstler leiden, wenn sie nicht arbeiten können.
ZEITmagazin: Leiden Sie dann auch, Herr Eggleston?
Eggleston: Ich weiß nicht, vielleicht leiden wir alle immer.
Goldin: Ich brauche viel Zustimmung. Es kommt allerdings darauf an, wer meine Kunst anschaut. Es gibt keine wirklichen Maßstäbe. ... Aber wer entscheidet, ob du ein guter oder schlechter Künstler bist? Nur du selbst kannst das entscheiden, mithilfe der Menschen, denen du vertraust. Deswegen sage ich, ich leide manchmal. Es gibt nur sehr wenige Menschen, denen man in seinem Leben trauen kann. Mir können ein paar Tausend Leute bei einer Ausstellungseröffnung sagen: Ihre Arbeit ist großartig. Ich sage: Danke, das ist nett von Ihnen, aber es bedeutet nichts.
Eggleston: Das ist so wahr.
Goldin: Aber wenn ein Mensch, den ich wirklich respektiere, meine Arbeit schätzt, dann bedeutet das viel für mich.
Sie schaut Eggleston an. Sie schweigen eine ganze Weile.
ZEITmagazin: Denken Sie, wenn Sie fotografieren?
Goldin: Ich denke nie, wenn ich ein Bild mache. Ich glaube, viele junge Menschen denken, wenn sie Kunst machen.
Eggleston: Ich denke auch nicht viel, wenn ich Kunst mache. Da ist nichts, was man planen kann. Ich glaube… wir trinken und fühlen.
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