Letztlich noch ein Beispiel: Zoo
Kein noch so schneller Turnschuh könnte mich veranlassen, das Löwengehege zu betreten, um den Riesenkerl mit der Mähne formatfüllend abzulichten.
Das ist ja genau der Punkt. Das formatfüllende Löwenfoto ist der Standard, das Klischee, jeder will es, jeder macht es, sicherlich nicht allzu kreativ, nichts Besonderes.
Im Zoo mit einem fixen 35mm KB-Objektiv – das zwingt zu Kreativität, zu einem anderen Blick. Man muss "out of the box" denken, andere Motive suchen und finden. Etwa die anderen Gäste miteinbeziehen und fotografieren, wie sie untereinander oder mit den Tieren interagieren. Neue Perspektiven finden, ausgetretene Pfade verlassen. Das klappt bei vielen am besten "unter freiwilligem Zwang", indem man ihnen die Gelegenheit nimmt, mit ihrer üblichen Ausrüstung wieder mal das Übliche zu machen, mit den üblichen Ergebnissen.
Das Ganze ist also eine Hilfestellung. Wer diese "Schule" erfolgreich durchlaufen hat, der kann natürlich auch mit einem fetten Superzoom oder riesigem Objektivpark in den Zoo gehen. Er wird dann vor dem Löwengehege allerdings nicht das 400er nehmen, um den Löwenkopf formatfüllend abzubilden, sondern vielleicht ein 35mm, um das Kind festzuhalten, das mit großen Augen vor dem Gehege steht und die Katzen im Hintergrund betrachtet.
Nur darum geht es doch bei diesen Übungen. Klar, dass so etwas in diesem Forum überflüssig ist, hier tummeln sich schließlich fast nur Experten, Alleskönner, Alleswisser. Aber für Leute wie mich – also die 0,3% der User, die den Grad absoluter Perfektion noch nicht erreicht haben – sind "erzwungene" Selbstbeschränkungen oft eine große Hilfe, um sich weiter zu entwickeln, alte Gewohnheiten abzulegen und Altbekanntes neu zu interpretieren.
Das gilt natürlich auch für alle anderen Motive, auch für die Urlaubsreise. Gerade WEIL man mit einer bestimmten Brennweite von einer bestimmten Position aus das übliche, klischeehafte Landschaftsfoto nicht gut machen kann, ist man gezwungen, sich nach Alternativen umzusehen und sich buchstäblich neu zu orientieren. Es geht dann eben nicht darum, einen Urlaubstag zu opfern, um auf irgendeinen Berg zu steigen (was für eine lächerliche Vorstellung), sondern darum, stattdessen andere Motive zu finden, die für die vorhandene Brennweite bestens geeignet sind, und an die man sonst niemals gedacht hätte, weil es eben viel bequemer ist, mit der üblichen Ausrüstung die üblichen Motive in üblicher Weise mit den üblichen Ergebnissen abzulichten. Wenn es gelingt, kommt man mit viel besseren, frischeren und interessanteren Aufnahmen nach Hause als dem ollen Landschaftsfoto.
Deshalb: Für mich als Vertreter der noch nicht perfekten 0,3% ist so ein Ansatz eine gute Sache. Ob man das Ganze nun ein Jahr lang, einen Urlaub lang oder einen Zoobesuch lang praktiziert, ist Nebensache. Um solche Banalitäten geht es nur Erbsenzählern mit gefestigter Beamtenmentalität. Die Essenz der Idee ist nicht, sich auf einen bestimmten Zeitraum festzulegen, sondern es einfach dann zu praktizieren, wenn man innerlich bereit dafür ist, wenn man das Gefühl hat, etwas ändern zu wollen und wenn man meint, dazu ein wenig Hilfestellung zu gebrauchen. Das kann ein Tag sein, eine Woche, ein Urlaub oder ein Zoobesuch. Nicht die Länge des Zeitraums zählt, sondern wie man die Zeit nutzt.
Klar kann man sich das Rauchen auch umgeben von 100 Schachteln seiner Lieblingsmarke abgewöhnen, aber einfacher ist es vermutlich, wenn man alle Zigaretten außer Reichweite schafft. So ist es auch mit der kreativen Fotografie. Wir fotografisch Normalsterblichen betrachten die freiwillige Selbstbeschränkung als Hilfestellung. Es ist nämlich auch so schon schwer genug.
