Im Grunde ist das mit den Carbonfasern eine simple Sache. Der Teufel steckt jedoch im Detail. Der Sirui-Vertreter auf der Fotokina hat viel Marketing-Geschwätz abgelassen. Aber hier und da sind ein paar sehr interessante Schlüsselworte gefallen, die viel Aufschluss über die Fertigungsweise gehen. (Und ganz nebenbei auch noch über Vor- und Nachteile der jeweiligen Verfahren.) Ich gebe mal meine Schlussfolgerungen preis und lasse das Marketing- und Werbungsgeschwätz auch der anderen Hersteller raus.
Die wichtigsten Dinge sind folgende: Die Anordnung der Carbonfasern zueinander, die Feinstruktur der Carbonfasern (ja da gibt es tatsächlich Unterschiede, die man nur im REM erkennt, und jeder Hersteller hat da was eigenes patentiert; wusste ich auch noch nicht), und wie die Carbonfasern verklebt sind (Stichwort resin). Oft wird gesagt, dass Carbonfasern umweltfreundlich seien. Das ist aber totaler Unsinn. Das resin (der Kleber) ist ziemlich giftig. Carbon an sich kann als Nanoteilchen in die Umwelt gelangen ist für Lebewesen mitunter gefährlich.
Zuerst zur Feinstruktur. Hier kocht jeder Hersteller sein eigenes Süppchen. Wichtig ist jedoch das die Fasern so konzipiert sind, dass der Kleber optimal an ihnen haften bleibt. Je poröser, desto mehr Kleber kann die Fasern durchtränken bzw. an der Oberfläche haften bleiben. Viele Hersteller wählen diesen Weg, da die Carbonfasern kostengünstiger herzustellen sind. Problem sind aber die Luftlöcher bzw. Lufteinschlüsse die entstehen können. Hier lässt sich leider nicht sagen, wie hoch der Luftanteil ist pro Hersteller. Sirui meinen jedoch der sei bei ihnen sehr gering. Das glaube ich durchaus. Sicherlich ein Grund warum deren Carbonrohre verhältnismäßig schwer sind, da sie zudem relativ viel Kleber verwenden.
Die Anordung der Carbonfasern ist sehr entscheidend für die Stabilität, Schwingungs- und auch Brucheigenschaften. Sirui und Benro verwenden einen sog. "roll table" Herstellungsprozess (dazu gleich mehr). Gitzo verwenden einen Poltrusionsprozess.
Sirui haben in der einzelnen Schicht gleich ausgerichtete Fasern. Diese werden aneinander gelegt und mit der der darunterliegenden Schicht verklebt (roll table). Der Kleber sitzt also zwischen den einzelnen Schichten und weniger zwischen den Fasern einer einzelnen Schicht. Die Fasern (und damit rühmt sich Sirui) sind in jeder der 8 Schichten etwas anders ausgerichtet, um etwa 30° wurde mir erzählt. Benro verwendet ein sehr sehr ähnliches Prinzip. Mich würde es nicht wundern wenn es das gleiche wäre. Zumindest für Benro findet man öfters die Angabe von 50% Anteil an Carbon in ihren Carbonrohren. Ich denke, dass Sirui da in ähnlichen Prozent-Regionen ist.
Gitzo macht es anders. Die verwenden 3 Schichten nach dem eben geschilderten Prinzip. Abwechselnd sind diese mit 3 Kreuzfaserschichten aneinander geklebt. Die Kreuzfaserschichten sind zwei Stränge von Carbonfasern, die miteinander verschmolzen sind (Poltrusions-Verfahren). Das ist im Prinzip so ähnlich wie bei einem Kleidungsstück. Das ganze ist sehr aufwendig in der Herstellung und muss bei hohen Temperaturen geschehen. Deshalb verwendet Gitzo hier sehr dichtes Carbon und damit auch wenig Kleber. Der Anteil an Carbonfasern soll bei Gitzo 65% betragen.
Feisol verwenden bekanntlich nur 3 Schichten an Carbon. Ich vermute das die Herstellung ähnlich abläuft wie bei Gitzo, nur dass die Fasern zu 90° miteinander verschmolzen werden und nicht zu 45° wie bei Gitzo. So ist zumindest zu erklären, warum die Carbonbeine von Feisol so leicht sind. Aber das konnte/wollte mir niemand bestätigen. Zumindest habe ich eine Angabe gefunden, dass der Carbon-Anteil in Feisol-Stativen 62% beträgt.
Ein bisschen Historie soll auch noch kommen. Das wird oft falsch wiedergegeben. Gitzo waren die ersten, die Carbonrohre für Stative eingesetzt haben. In den 90ern haben sie die Fertigung nach China verlegt, wo dann Benro das Konzept abgekupfert hat. Das war sicherlich ein Fehler, denn Gitzo sind dann wieder komplett zurück nach Europa (Italien) gegangen, wo nun die gesamte Fertigung stattfindet. Gitzo ist eine eigenständige Firma und gehört wie Manfrotto zur Vitec Investoren-Gruppe. Als eine der ganz wenigen haben sie eine eigene Forschungsabteilung. Sie haben die Carbonrohr-Herstellung innerhalb der Vitec-Gruppe lizenziert. Manfrotto stellt (vermutlich die gleichen) Carbonrohre meines Wissens in Amerika her. Sirui hat angeblich alles selbst entwickelt.
Oft ist es ja so, dass die Schüler ihre Lehrer überflügeln, aber zumindest bei den Stativen scheint es nicht wirklich so zu sein. Sirui und Benro Carbonbeine lassen sich leichter verbiegen, was an der Anordnung der Carbonfasern liegt. Das ist im Prinzip erstmal nicht weiter schlimm. Verbiegt man sie aber zu stark, dann brechen sie. Gitzo-Beine haben ein ähnliches Brechmoment, aber lassen sich wegen der anderen Struktur schwerer biegen. Verbiegen wird immer als super schlimm dargestellt. Das ist sicherlich so nicht richtig. Höchstens das Nachsacken kann bei schwerer Ausrüstung ein Problem sein.
Über andere Eigenschaften wie dem Anteil an Luft, der Feinstruktur des Carbons und den Schwingeigenschaften lässt sich ohne REM-Bilder und ohne Profi-Testequipment nicht viel sagen. Was man jedoch bemerkt ist, dass das Design, die Verarbeitung und die Abstimmung der Komponenten einen wesentlichen Einfluss auf das Schwingverhalten haben. Die Klemmung/Verschlüsse von Sirui (und auch Benro) und der Teller-/Kopfbereich sind ziemliche Schwachstellen. Eine ausgezogene MS schwingt deutlich mehr als bei anderen Herstellern. Da sieht man auch, dass Carbon nicht alles ist, und das ein gut aufeinander abgestimmtes Alu-Stativ mitunter bessere Werte hinsichtlich Schwingverhalten erzielen kann. Zumindest beim Spiegelschlag ist das ja kein wirkliches Geheimnis.
Je nach Struktur der Carbonrohre ergeben sich andere Eigenschaften für die Foto-Praxis. Das Sirui-Carbon scheint für generelle Schwingungsminderung und Stabilität ausgelegt zu sein. Gitzo-Carbon scheint für Dämpfung und Minderung von Torsionskräften optimiert zu sein (dazu tragen v.a. die Kreuzfaser-Schichten im Carbonrohr bei). Letzteres ist gerade für lange Brennweiten ein entscheidender Vorteil. Gitzos Carbonrohre sollten aber demnach auch anfälliger gegenüber Stößen sein. Mich wundert es auch nicht, dass Sirui Tests von einer bekannten deutschen Foto-Zeitschrift gewinnen, wenn darin nur Bedienung, Aussehen und Gewicht bewertet werden, Schwingverhalten und Ausschwingzeiten aber scheinbar vernachlässigt wurden. (Keine Ahnung welches Magazin der Vertreter meinte. Er hat aber nur die e.g. 3 Dinge hervorgehoben. Als ich dann meinte, dass das Schwingverhalten aber wichtiger sei für scharfe Fotos, meinte er nur ich solle mir keine Sorgen machen...)
Ich möchte jetzt hier nicht auf den Chinesen rumhacken. Alles hat eben Vor- und Nachteile. Gerade durch den (künstlich erzeugten?) Internet-Hype lassen sich viele Leute vom Preis und Angaben täuschen und achten nicht auf die "inneren Werte", bzw. haben überhaupt keine Ahnung das es sowas überhaupt geben könnte. Das ist bei Smartphones derzeit auch nicht anders und gehört wohl zum Zeitgeist.