Moinsen,
im Wesentlichen haben Hersteller bei solchen Produkten drei Möglichkeiten: Entweder sie patentieren ihre Technologie, oder sie legen die Spezifikationen so vollständig offen, dass jeder sie nutzen kann, oder sie veröffentlichen die Spezifikationen nicht.
Patente können in vielen Teilen der Welt nur auf Produkte, nicht aber auf Ideen erteilt werden. Ein Algorithmus, ein Beweis oder ein Protokoll können daher dort nicht patentiert werden – anders als eine Maschine, ein Gerät oder ein Objektiv. Natürlich verschwimmt das Ganze – und das liefert dann den Ansatzpunkt für die Patentstreitigkeiten –, da nicht das konkrete Produkt, sondern dessen Konstruktion(sweise) geschützt ist, also im Grunde eben doch wieder ein "Plan" und nicht das konkrete Produkt. Wenn aber die Umsetzung des Plans zu dem im Wesentlichen identischen Produkt führt, ist ein Patentschutz möglich (beispielsweise auch bei Medikamenten, wo die identische Formel eines Wirkstoffs zu dem im Wesentlichen identischen Medikament führt). Unter anderem im Zusammenhang mit Software gibt es da immer wieder Streitigkeiten, aber auch an zahlreichen anderen Stellen.
Hier geht es gerade um ein Protokoll – das zur Kommunikation zwischen Kamera und Objektiv –, und das dürfte in der Regel nicht patentierbar sein, so wie auch ein Dokumentenformat (beispielsweise das von Microsoft Word) nicht patentierbar ist. Und selbst wenn es patentierbar wäre, gibt es Gründe, warum sich Unternehmen gegen eine Patentierung entscheiden – unter anderem, weil die wesentlichen Charakteristika des Produkts, also gerade die Dinge, die die Innovation ausmachen, offengelegt und im Patentantrag beschrieben werden müssen.
Viele Firmen entscheiden sich daher dafür, ihre Produkte als Firmengeheimnisse zu schützen – also gerade nicht zu veröffentlichen. Wie Sony das macht, weiß ich nicht; Canon jedenfalls tut genau das: Sie publizieren keine Interna über die Kommunikationsprotokolle (so wie Microsoft in früheren Zeiten keine Interna des Dokumentenformats von Word publiziert hat). Sie können diese Informationen dann gezielt an andere weitergeben und diese anderen auf Verschwiegenheit verpflichten, wenn sie wollen; sie können die Informationen aber auch komplett geheimhalten.
Was sie nicht verhindern können, ist Reverse Engineering; das ist in den meisten Ländern erlaubt. Das heißt, jemand anderer kann sich das Kommunikationsprotokoll im Detail angucken – also sozusagen abhorchen und schauen, was da wann an Daten fließt –, so wie man sich ein Word-Dokument in einem Hex-Editor angucken konnte, um die darin befindlichen Bytefolgen zu analysieren. Und man darf dann entsprechende Geräte bauen (oder Programme schreiben), die auf den Erkenntnissen dieses Reverse Engineering beruhen. Wenn also Sigma, Tamron, Yongnuo, Zeiss, ... keine entsprechenden Informationen von Canon erhalten haben, bleibt ihnen nur dieser Weg.
Das Problem beim Reverse Engineering ist natürlich, dass nur Eigenschaften und Funktionen gefunden werden können, die auch genutzt werden. Wenn also beispielsweise das EF-Protokoll (oder auch das RF-Protokoll) Möglichkeiten enthält, die (noch) nicht genutzt werden, oder es bestimmte Dinge gibt, die von vornherein für bestimmte Erweiterungen vorgesehen sind (wie es das mit mechanischer Übertragung auch bei den FD-Objektiven schon gab), können diese natürlich nicht per Reverse Engineering gefunden werden, solange sie nicht implementiert sind: Man kann ein Systemverhalten, das (noch) nicht realisiert ist, nicht beobachten. Wenn Canon dann zu einem späteren Zeitpunkt Modifikationen oder Erweiterungen vornimmt oder freischaltet, werden sie die eigenen Objektive und Kameras entsprechend vorbereiten – es kann sein, dass dazu ein Firmware-Update notwendig ist, aber nicht einmal das muss unbedingt sein, sondern das Verhalten kann schon implementiert, aber nicht aktiviert gewesen sein. Das hat dann nichts damit zu tun, dass man boshafterweise andere Hersteller ausschließen möchte (auch wenn das sicher häufig ein nicht unerwünschter Nebeneffekt ist), sondern schlicht damit, dass man sich bei den eigenen Innovationen nicht darum schert, ob ein anderer Hersteller damit ein Problem bekommt. Den Partnern, mit denen man zusammenarbeiten möchte, kann man die entsprechenden Informationen natürlich zur Verfügung stellen – wieder unter Vereinbarung von Verschwiegenheit –; aber eben nur, wenn man will.
Wer Reverse Engineering betrieben hat, muss das dann halt erneut tun und sehen, ob es ihm gelingt, die eigenen Geräte durch Updates anzupassen oder nicht. Das ist laut eigener Aussage einer der Gründe, warum Zeiss keine Autofocus-Objektive für Canon fertigt: Während der Teil der Kommunikation, den deren EF-kompatiblen Objektive für die Übertragung der Objektivdaten und der Blende nutzen, wohl relativ einfach ist und sich daran wenig bis nichts geändert hat, sieht das beim Autofocus wohl anders aus – und auf diese Unsicherheit (für die Zukunft der eigenen Produkte sowie die Zuverlässigkeit der Objektive bei der Nutzung) will man sich bei Zeiss wohl nicht einlassen – zumindest argumentieren sie so. Im Gegensatz dazu arbeitet man mit anderen Kameraherstellern auf vertraglicher Ebene zusammen, sodass dort sichergestellt ist, dass die benötigten Informationen auch bei Zeiss zur Verfügung stehen. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass dieselben Informationen jedem zur Verfügung stehen und somit jeder auf dieser Basis Objektive für diese Kameras herstellen kann.