AW: E-620 preview samples
Warum? Klingt äußerst interessant. Mit dem Fachbegriff hättest Du einen Google-Einstieg geboten.
Vielleicht habe ich den Eindruck erweckt wir reden hier von einer exakten Wissenschaft. Es gibt eigentlich eine ganze Reiche von Begriffen: "Anthropologie", "Mangelwesen", "Infantilisierung", "Kindchenschema", "Leib-Seele Problem", "Hominisation",
"Menschenpark", "Existenzialismus", "Humanismus", "Künstlichkeit". Die berühmteste Abhandlung in jüngster Zeit hat definitiv der Philosoph Peter Sloterdijk verfasst:
"Das Menschentreibhaus".
Sloterdijk ist jemand, der Heidegger wiederentdeckt bzw. verständlich macht. Ansonsten wird man fündig bei dem Evolutionstheoretiker Richard Dawkins und dem Begriff
"Mem", den er analog zu "Gen" eingeführt hat.
Sorry, aber jetzt wird es wirklich OT.

Mit dem Menschen ist die Evolution von der rein biologischen in eine kulturelle übergegangen. Wir wurden "Mangelwesen"; fast jedes Tier ist uns an Schärfe der Sinne und Schnelligkeit überlegen. Als Folge dieser Entwicklung müssen wir in einer künstlichen Welt leben, in einem Raum, den wir uns selber schaffen. Wir passen uns als einzige Wesen nicht länger an die Umwelt an, sondern wir passen die Umwelt uns an.
Das aber ist eine Notwendigkeit, und es ist diese Notwendigkeit die man als "Sinn des Lebens" betrachten kann.
Das klingt zunächst auch nicht dramatisch.
Doch es ist ein grosses Drama, denn wir müssen als einzige Wesen
schneller klug werden als wir handeln. Wir müssen sogar schneller klug werden als
andere handeln. Vielleicht bedeutet deshalb Homo Sapiens der "weise Mensch"? Schon lange vor ihm gab es nämlich den Homo Habilis, den "befähigten Mensch" der Werkzeuge einsetzte.
Doch bevor es jetzt allzu abstrakt wird möchte ich auf eine ganz triviale Eigenschaft hinweisen die uns zu Menschen macht, die Fähigkeit zu "Schwitzen". Diese Fähigkeit hat tatsächlich viele körperlichen "Mängel" die wir Tieren gg. haben wettgemacht! Ich sagte ja, wir hätten uns zu nackten, kindlichen Geschöpfen entwickelt.
Tatsächlich wäre es sogar besser eine dünnes Fell zu haben, wie Zebras oder Löwen in der Savanne, weil das UV-Strahlung besser abschirmt. Doch der evolutionäre Vorteil möglichst vieler Schweißdrüsen war für uns zu groß. Wir führen damit Wärme über den gesamten Körper ab, was uns zum ausdauerndensten aller Tiere macht. Tatsächlich ist der Mensch das einzige Tier das jedes andere Tier zu Tode hetzen kann. Er läuft ihm wenn es sein muß
tagelang nach. Das bringt kein Tier fertig. Das hält auch kein Tier aus.
Kein Tier flüchtet nämlich überhaupt länger als 30 Minuten. Tiere flüchten zwar sehr schnell und effektiv, aber nicht ausdauernd. Bald bleiben sie irgendwo im Dickicht stehen. Ein Grund dafür ist: sie führen die entstandene Wärme primär über die Atmung ab.
Dann wird alles ruhig um das Tier, das Tier beruhigt sich, und legt es sich in die Sonne oder sucht Futter. Kurz gesagt, es führt sein Leben erfolgreich weiter. 10 Minuten, 20 Minuten, vielleicht eine halbe Stunde vergeht. Dann knackt es hinter ihm. Das ist der Mensch. Die Jagd war nie beendet.
Kein Horrorfilm kann sich wohl gewaltiger ausmalen was Millionen Tiere wegen uns erlitten.
Das Tier kann schließlich nicht begreifen warum es seinen Jäger nicht los wird, und stirbt irgendwann an Erschöpfung und Stress, an der Einwirkung unbegreiflicher Waffen, oder an beidem.
Ein grosses Thema i.d.Z. -- vielleicht das grösste -- ist auch die Entwicklung der Sprache. Wann? Warum? Kein Tier spricht. Sprache ist vermutlich eng mit der Entwicklung des Bewusstsein gekoppelt, da andere Wesen endlich als gleichartig wahrgenommen wurden. Ich persönlich denke, erst seitdem es Sprache gibt suchen wir uns, und wir begreifen die Welt nicht mehr.
Der Sprachphilosoph Wittgenstein hat hochpräzise formuliert: "Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt."
Das kann wohl jeder bestätigen. Auch kann jeder Einzelne von uns sich leicht vorstellen, wie seine Entwicklung ohne die sanften (und leider auch grausamen) Zuwendungen der Anderen verlaufen wäre. Nämlich garnicht.
Sloterdijk beschreibt in seinem berühmten "Menschenpark" und "Menschentreihaus" wie sehr der Mensch heute von der natürlichen Selektion abgekoppelt ist, da er sich seine eigene Bedingungen für die Existenz schuf. Das "Menschentreibhaus" in dem wir uns heute alle befinden.
Natur? Natürlichkeit? Nicht mehr. Wir haben es geschafft (oder haben wir es uns angetan), dass dies Vorstellungen wurden.
Es gibt keinen Weg zurück in unseren Ursprung. Niemals.
Nie wieder.
Welch ein Drama also! Kein Wunder, dass wir uns quälen.
Ist dann das Schlimme und Schreckliche, sind die Erniedrigungen und Morde, die Abgründe die wir uns antun, letztlich vielleicht der unbegreifliche Versuch, die Schuld für die Unfähigkeit zu unseren Ursprüngen zurückzukehren,
bei Anderen zu suchen?
Beantwortet sich so möglicherweise auch die Frage: "Warum lässt Gott Leid zu?"
Die Antwort wäre: "Indem er uns erst eine Heimat gibt."
Denn in der Natur waren wir ja nicht zu Hause; wir waren ja die Natur. Doch das ist endgültig vorbei. Wir können allenfalls Gott dafür verantwortlich machen, dass "er" diese "Selbstzähmung" überhaupt zuliess, deren Folgen wir heute mit lachenden und weinenden Augen beobachten.
Schon Herder sagte: "Der Mensch ist der erste Freigelassene der Natur."