Nee, nee. Das ist ganz und gar nicht off topic. Newman wollte mit seinem Bild eine ganz bestimmte Aussage treffen – die laut dem, was er selber zur Entstehung der Bildes gesagt hat, mit dem Einklang stand, was sein Auftraggeber Newsweek von Krupp dachte. Und er hat es verstanden, diese Bildaussage so zu transportieren, dass praktisch jeder sie verstanden hat – mehr oder weniger und sicher nicht immer zu 100% in der intendierten Weise, weil natürlich die Betrachtenden ein Bild immer ganz wesentlich vor ihrem eigenen Hintergrund ansehen. Newman ist es aber offenbar gelungen, die Aussage so deutlich zu "formulieren", also in ein Bild umzusetzen und eine Bildsprache zu verwenden, dass sie von den meisten verstanden wurde – offensichtlich auch von Krupp, wie man an den Aussagen über dessen Reaktion auf das Bild sieht.
Hatte Newman das Bild exakt so vor Augen? Nach eigener Aussage nicht. Er hatte recht genaue Vorstellungen, aber nicht das ganze Bild durchgeplant und auch nicht exakt vor Augen, wie es aussehen sollte. Als er dann aber Krupp bat, eine bestimmte Pose einzunehmen – sich nämlich leicht nach vorne zu beugen – und dieser dabei die Hände faltete und unter das Kinn nahm – wozu ihn Newman nicht aufgefordert hatte – ergab sich dieses Bild, das in vielen Aspekten natürlich von ihm so vorbereitet war – vom Hintergrund über die Positionierung Krupps auf einer Plattform oberhalb des Fabrikbodens bis hin zum Licht, das er ganz bewusst so aufgebaut hatte.
Wir haben hier also einen Fotografen, der zumindest bei diesem einen Foto sehr genau wusste, welche Aussage er treffen wollte, wie er eine bestimmte Aussage durch Komposition und Lichtsetzung erzielen kann und dann in dem Moment, in dem sich etwas Unvorhergesehenes ergibt, genau erkennt, wie er zu dem Bild kommt, das seine Aussage so transportiert, dass sie verstanden wird. Das ist etwas, das für mich (der im Portraitbereich wirklich nur dilettiert, so wie insgesamt, wenn es darum geht, Menschen zu fotografieren) gute Portraitfotografie auszeichnet (die ich mir durchaus gerne ansehe).
Und in dem Sinn verstehe ich abseits aller Polemik und aller Probleme, die man mit den Beiträgen von parbleu in ihrer Art und von mir aus auch in ihrem Inhalt haben kann, zumindest einen Punkt, den parbleu nach meiner Wahrnehmung hier machen will: Ja, zur Fotografie gehört Technik dazu, aber Technik
alleine und deren Beherrschung machen noch keine Fotografie aus. Ich glaube auch nicht, dass ihm hier im Forum da irgendwer widersprechen will – aber da mag ich mich irren. Und dann stellt sich die Frage, was es denn ist, das wesentlich zu einem guten Foto beiträgt – oder in der Verallgemeinerung von einem einzelnen Foto: zur guten Fotografie oder einem guten Fotografen, dem es regelmäßig gelingt, gute Fotos zu machen.
Nun kann man sagen, dass man die ganzen berühmten Fotografen und all die Bücher zur Fotografie nicht kennen muss. Und da ist auch durchaus was dran. Es gibt talentierte Leute, die es einfach schaffen, immer wieder gute Fotos zu machen, ohne sich intensiv mit diesen Leuten und Werken auseinandergesetzt zu haben; die nicht eine einzige der Regeln für Bildgestaltung kennen. Aber ich glaube, diese Leute sind eher rar gesät – und häufig haben sie Kenntnisse aus anderen Bereichen, die sie auf die Fotografie übertragen können, beispielsweise aus der Malerei (aktiv oder passiv). Und mancher mag auch einfach ein Naturtalent sein.
Für die meisten aber von uns lohnt es sich schon, sich mit Regeln für Bildgestaltung auseinanderzusetzen, weil die meisten von uns eben keineswegs alles intuitiv so umsetzen, dass die von uns intendierte Bildaussage rüberkommt. Dabei gehe ich immer von der Annahme aus, wir haben eine solche; natürlich kann man auch einfach mal ein Bild machen, weil man das Motiv hübsch findet, weil man einen Augenblick in Erinnerung behalten und deshalb visuell festhalten möchte oder warum auch immer. Solche Bilder haben ihre Berechtigung; ob man sie in einem Forum oder sonstwo im Netz zeigen sollte oder muss, ist m.E. eine ganz andere Diskussion; meine Anmerkungen hier beziehen sich nur auf Bilder, die man beispielsweise hier im Forum in einer Galerie postet und bei denen man sich ein Feedback in Form von Daumen nach oben wünscht, aber eben auch mit Kritik rechnen muss, weil sonst auch die Daumen nach oben wertlos sind.
Wenn wir aber nun eine Aussage transportieren wollen, dann gelingt uns das nur, wenn die Betrachtenden diese Aussage auch erschließen können. Sie müssen das Bild gewissermaßen decodieren. Sonst bleiben eben nur Aussagen übrig, die sich auf die technische Ausarbeitung oder das dargestellte Motiv beziehen. Auch von denen kann man sich gebauchpinselt fühlen oder im Fall von Kritik ais ihnen lernen, aber für viele, die hier im Forum Bilder betrachten, ist das eben nur eine Komponente, die "handwerkliche", wenn man so will. Und da kommen nun die Regeln für Bildgestaltung ins Spiel. Nicht, weil es Regeln sind, die man gefälligst zu befolgen hat wie ein Gesetz, weil sonst die Bilderpolizei kommt. Sondern weil die Regeln Bezug nehmen auf die Wahrnehmung – und da zu allererst einmal auf Prozesse, die unbewusst ablaufen und teils durch Evolution, teils durch gesellschaftliche Prägung unsere Wahrnehmung in bestimmter Weise lenken. Und dann natürlich auch durch Prozesse, die ganz bewusst ablaufen, wo man sich also ein Bild Stück für Stück erschließt – was durch eine gute Bildgestaltung eben zum einen erleichtert wird, zum anderen dazu beitragen kann, dass unser Auge geleitet wird.
Will ich als Fotografierender also, dass mein Bild eine bestimmte Aussage transportiert, reicht es nicht, wenn nur ich die verstehe. Ich muss daran denken, dass jemand anderer mein Bild betrachten wird – oder wohin sonst sollte ich etwas transportieren wollen? Wie es hilft, beim Schreiben eines Texts bestimmte Regeln zu beachten (und damit meine ich jetzt nicht die der Rechtschreibung und der Grammatik; auch die sollte man hinreichend gut beherrschen, aber das alleine reicht noch lange nicht für einen guten Text), die es den Lesenden ermöglichen, die von mir intendierte Aussage dem Text zu entnehmen und mich nicht ganz anders zu verstehen, als ich das beabsichtigt habe, hilft es eben auch, die Regeln für Bildgestaltung – die wie gesagt insbesondere auf Regeln der Wahrnehmung basieren – zu beachten, wenn ich mit einem Bild eine bestimmte Aussage rüberbringen möchte.
Kann ein Bild auch ohne die Kenntnis und bewusste Anwendung von Regeln gut sein? Selbstverständlich. Einen guten Fotografen zeichnet m.E. aber aus, dass ihm das nicht nur gelegentlich gelingt, sondern reproduzierbar – für denjenigen, der sein Geld damit verdient, ist das natürlich wichtiger als für diejenigen unter uns, die das nur zum Spaß machen und die wir uns darüber freuen, wenn uns einmal im Jahr ein wirklich gutes Foto gelingt. Und wenn man ein solches Bild gemacht hat, das man für besonders gelungen hält, kann man es natürlich auch überall herumzeigen, stolz darauf sein – und hoffentlich auch viele Daumen nach oben und nur wenig Negatives an Rückmeldung bekommen.
Wer aber an sich selber den Anspruch hat, nicht nur gelegentlich mal ein gutes Bild zu machen, sondern das gerne regelmäßig tun möchte und diese Bilder auch hier im Forum oder sonstwo zu publizieren, wird in den allermeisten Fälle davon profitieren, zumindest ein bisschen was darüber zu lernen, wie man Bilder so gestaltet, dass sie von den Betrachtenden in der gewünschten Weise wahrgenommen werden. Und dazu gibt es mehr Gelegenheiten als man je zu nutzen in der Lage ist – beispielsweise die kritische (im Sinn von analysierende) Betrachtung von Bildern anderer Fotografen, die Lektüre entsprechender Fachbücher, das Schauen einschlägiger YouTube-Videos oder zum Start auch einfach den hier schon verlinkten Artikel von parbleu mit dem Titel
Zu einem Fotografen werden – III – Sehen statt nur gucken.
Zum Abschluss noch meine ganz persönliche Anmerkung zum "Offenblendwahn" (wobei ich gar nicht weiß, ob parbleu diesen überhaupt verwendet; vom "Offenblendzwang" und "Offenblendterror" habe ich aber bei ihm gelesen; und ich halte weder diese Begriffe noch etliche seiner Formulierungen für eine konstruktive Auseinandersetzung für hilfreich; aber das ist mein persönliches Problem). Aus meiner Sicht – und ich denke, das sieht auch parbleu so und so mancher anderer, der hier im Forum Bilder genau wegen der Verwendung der Offenblende kritisiert hat – spricht nichts gegen die Verwendung der Offenblende, sei es 1.2, 1.4, 1.8, 2.0 oder was auch immer, wenn man weiß, warum man diese Blende verwendet. Wenn man es also mit Absicht macht – und zwar mit der Absicht, eine bestimmte Bildaussage zu machen oder zu betonen. Wenn ich aber bei allen meinen Bildern praktisch immer und ausschließlich die Offenblende verwende, dann stellt sich eben schon die Frage, welche Absicht ich damit verfolge. Finde ich das einfach nur schick – ja, dann sage ich das doch auch und verstecke mich nicht hinter Scheinargumenten. Ist das mein Stil – ja, dann sage ich das ebenfalls und behaupte nichts anderes (wobei das alleine m.E. noch keinen Stil ausmacht; da gehört wohl noch mehr dazu). Mache ich damit eine bestimmte Bildaussage – dann muss ich mir die Frage gefallen lassen, welche Aussage das denn sein soll und in wie fern dieses Gestaltungsmittel (das ja nur eines unter vielen ist) zu der Aussage beiträgt. Und wenn ich das immer wieder mache, könnte mir auch jemand die Frage stellen wollen, ob ich eigentlich immer nur das Gleiche sagen will. Wenn ich dann aber in der Wahl meiner weiteren Gestaltungsmittel wiederum vielfältig genug bin – wobei die vorgenannten Aspekte helfen können –, kann ich diese Frage wiederum sehr schnell negativ beantworten.
Ob dieser Text nun ein guter war, wird sich zeigen. Mindestens der letzte Absatz wird möglicherweise kontraproduktiv gewesen sein, und möglicherweise verhindern, dass die Aussage, die ich in erster Linie mit diesem Beitrag machen wollte, bei den Lesenden so ankommt, wie ich das intendiert habe. Aber vielleicht ist mir das ja auch mit den vorangegangenen Absätzen schon nicht gelungen.