Ich möchte hier nochmal auf das Thema "Schärfe bei Offenblende" eingehen.
Objektive werden entwickelt für verschiedene Einsatzbereiche. Haben sie spezielle Stärken, werden sie an anderer Stelle in der Regel Schwächen haben. Deswegen gibt es z.B. Landschaftsfotografen, die das ZF 1.4/50 dem bei Offenblende im Nahbereich natürlich ultrascharfen ZF 2/50 Makro-Planar vorziehen - geringere Bildfeldwölbung, höhere Auflösung bei hohen Blenden. Ebenso ziehen diese Fotografen meist das AF-D 85/1.8 dem 85/1.4 vor.
Das ZF 1.4/50 ist als leistungsfähiges Allround-Objektiv entwickelt. Wer ein hochwertig verarbeitetes, präzise zu fokussierendes Objektiv sucht, mit dem er alles auf dieser schönen Erde in brillianten Farben bei herausragenden Kontrasten unter Erhaltung allerfeinster Details mit extremer Auflösung bei gleichzeitig extrem geringer Empfindlichkeit für Gegenlicht vom Portrait über die Stadt hinaus bis zur Landschaft festhalten möchte, findet hier einen der besten Begleiter für das Nikon-Bajonett.
Das gilt ab Blende f/2 aufwärts. Wer zudem auch noch bei f/1.8 in sehr hoher Qualität bei available light Lichtreserven braucht, kann immer noch freudig jubeln, die oben genannten Qualitäten bleiben mit leichten Einbußen erhalten. Wer obendrauf noch in der schummerigsten Bar stimmungsvolle Bilder machen möchte, kann auf Blende f/1.4 zurückgreifen, freilich mit Einschränkungen bei Schärfe und Kontrast, wie oft genug in diesem Thread klargestellt.
Das ZF 1.4/50 ist blendenunabhängig nicht für die Nutzung im Nahbereich (ab 45cm) optimiert und es ist auch nicht besonders gegen sphärische Aberrationen bei Offenblende korrigiert. Letzteres gilt übrigens für viele Objektive, mit dem Ziel in den offeneren Blenden gezielt ein besonders schönes Bild gestalten zu können. Das ZF85 und das AI-S 135/2 sind bekannt für genau diesen Mix. Aufgeblendet im wörtlichen Sinne sphärische Bilder, abgeblendet ultrascharf.
Zeiss USA weiß bei seiner Produktbeschreibung auf seiner Webseite diese Eigenschaft/Qualität mit einem grandiosen Konzertfoto zu nutzen, JJ1 hat hier in diesem Thread die schöne Formulierung von der atmosphärischen Freistellung eingebracht, ich habe ein Beispiel dafür in Beitrag #43 gezeigt.
Das Problem mit sphärischer Aberration ist aber, dass das
"scharfe Kernbild von einem unscharfen überlagert wird".
Die Auflösung ist vorhanden - siehe auch Ergebnisse bei photozone -, aber die Feinkontraste sind gemindert, das Bild wirkt weich und verschwommen, bei Überbelichtungen umso mehr. Das ist der technische Hintergrund für die Kritik, dass das Objektiv bei Offenblende nichts tauge. Letzteres ist dann vorbehaltlos richtig, wenn man es unter falschen Erwartungen einsetzt, sprich im absoluten Nahbereich - siehe die unverhältnismäßige, sinnlose Forderung ein Gesicht bei Offenblende näher als 60cm superscharf zu zeigen.
Die Überlagerung des scharfen Bildes durch ein unscharfes macht aber eine blendenabhängige Schärfung sinnvoll, um die existierende Auflösung zurückzuholen. Das ist nebenbei völlig normal und üblich auch bei Objektiven, bei denen dieser Abbildungsfehler nicht oder nicht so stark auftritt. Oder schärft hier jemand seine Bilder von einem 24-70/2.8 bei Blende f/2.8 genau so wenig oder stark wie die, die bei Blende f/8 gemacht wurden?
Der amerikanische Fotograf Lloyd Chambers hat dem in seiner Anleitung "making sharp images" ein Kapitel gewidmet die RAW-Konverter "Raw Therapee" und "Raw Developer" bieten unter anderem diesen Zweck seit einiger Zeit eine spezielle Schärfungsoption namens "Richardson–Lucy deconvolution".
Und weil das so ist, zeige ich die Bilder ausdrücklich geschärft und werde nachfolgend die Parameter benennen, so daß sie für alle nachvollziehbar sind.
Alle Bilder bei f/1.4 aus CaptureOne mit der D3-Standardkurve, CA-korrigiert, ansonsten ohne jedwede Veränderung oder Anpassung. An den Endungen kann man den CaptureOne Schärfungseinstellung erkennen:
std = CaptureOne Standard
sis1 = CaptureOne Soft Image Sharpening 1
sis2 = CaptureOne Soft Image Sharpening 2
Ich bin mit CaptureOne nicht an die Grenze zur Überschärfung gegangen, es wäre noch mehr möglich und mit der weiter oben genannten R-L deconvolution-Schärfung wäre noch viel mehr rauszukitzeln. Aber ehrlich gesagt interessiert mich das auch gar nicht. Wenn ich Superschärfe brauche, blende ich etwas ab und mir fällt auch ad hoc kein schönes Motiv ein, dass ich auf nahe Distanz unbedingt bei f/1.4 superscharf freistellen möchte - ich mein', wir sprechen z.B. bei 50cm Motivdistanz von einer Schärfentiefe von weniger als 4mm bezogen auf Vollformat - geschweige denn käme ich in die Situation, davon eine Plakatwand zu drucken, die im Nahabstand betrachtet werden würde.
So, jeder Interessierte sollte hiermit einen Eindruck bekommen, was er im schlechten Extremfall noch erwarten kann oder was auch eben nicht. Den Mythos "Gurke" habe ich hoffentlich entkräften können.
Grüße in die Runde,
Bernd