IMHO würden Deine Berechnungen nur zutreffen, wenn der bodyinterne Bildstabi nur für die Zeitdauer der Verschlußöffnung aktiv wäre. Soweit mir bekannt (und das bestätigten auch die Geräusche) ist z.B. die KoMi/Sony-System immer aktiv, wenn es eingeschaltet wurde.
Der Antishake ist vor und während der Belichtung aktiv. Das ist richtig.
Allerdings ist dazwischen ein Pause und weiterhin benötigt man für die Suchbildstabilisierung und die eigentliche Aufnahme ohnehin ganz andere Stabilisierungsstrategien.
Sucherbildstabilisierung
Ziel ist es hier, das Wackeln zu reduzieren, gleichzeitig den Fotografen aber nicht bei der Motivauswahl zu behindern. Hierzu wird das Signal der Positionssensoren hochpaßgefiltert und den Antiwackelaktoren zugeführt. Die Grenzfrequenz des Hochpasses ist dabei variabel und richtet sich nach der Wackelamplitude. Sie wird so niedrig wie möglich eingestellt, ohne das dabei die Antiwackelaktoren an die Grenze des Stellbereichs kommen. Ist die Wackelamplitude gering, geht die Grenzfrequenz bis 1 Hz runter, wackelt man bei großen Brennweiten viel, steigt die Grenzfrequenz bis Werte oberhalb von 10 Hz. Geeignete Filter sind IIR-Filter ab 2. Ordnung mit Bessel- bis Butterworthcharakteristik.
Kameras mit elektronischen Sucher können bei genügend Licht selbst darauf verzichten und das Sucherbild rein elektronisch stabilisieren, wenn die Belichtunszeiten des Sucherbildes sich Richtung 1/250 sec und weniger bewegen. Bei 2,8er Blende ist das ab Lichtwerten von 10 und mehr der Fall.
Aufnahmestabilisierung bei kurzen und mittleren Brennweiten
Vor der Belichtung während der Spiegelhochklappzeit kann der Sensor bequem in die Mittellage gefahren werden. Stellt man größere Lineargeschwindigkeiten während dieser Phase fest, kann der Sensor auch schon etwas entgegen der aktuellen Bewegung positioniert werden. Das reduziert zum einen den notwendigen Stellweg, zum anderen kann man so die Bewegung relativ zur Mitte der Belichtunsgzeit zentrieren und reduziert die Abbildungsfehler durch die Dezentrierung des Objektivs durch den IS.
Ca. 1,5 ms vor dem Start des ersten Vorhangs beginnt die Bewegung des Sensors (bei Piezoaktoren ist das nach meinen Erfahrungen ausreichend), mit dem Schließen des zweiten Vorhangs kann der Regelvorgang abgebrochen werden. Zum Anhalten des Sensors benötigt man maximal weitere 1,5 ms.
Die gesamte Regelzeit ist damit:
T = 3 ms + Wanderzeit des Vorhangs + Belichtungszeit.
Bei der 350D sind das
T = 3 ms + 4 ms + T_expose = 7 ms + T_expose
Stabilisiert man z.B. ein 30 mm-Objektiv von 1/50 s auf 1/3 s (4 Blenden), dann muß der Sensor für 340 ms stabilisiert werden. Nimmt man großzügig an, daß ein Bild ab 3 Pixel Bewegung verwackelt ist, dann muß der Sensor den Unterschied zwischen 3 Pixeln in 20 ms und den Pixeln in 340 ms eliminieren. Wenn man annimmt, daß mit konstanter Geschwindigkeit verwackelt wird (worst case), dann sind das 3*17 Pixel, die kompensiert werden sollten. Bei 6 µm Pixelpitch und Verwacklung in genau eine Richtung (auch wieder worst case) sind das 6 µm*3*17 Pixel ~ 300 µm Stellweg. Nimmt man noch an, daß keine prophylaktische Gegenbewegung stattgefunden hatt, dann kommt man auf +-300 µm Stellweg.
Aufnahmestabilisierung bei großen Brennweiten
Bei langen Rohren wird es etwas komplizierter.
Zum einen spielen hier die
T = 3 ms + Wanderzeit des Vorhangs + Belichtungszeit.
die beiden anderen Komponenten neben der Belichtungszeit eine Rolle, zum anderen werden die Belichtungszeiten so kurz, daß während der Belichtungszeit kaum was unvorhergesehenes mehr passieren kann.
Stabilisiert man z.B. ein 300 mm-Objektiv von 1/500 s auf 1/30 s (4 Blenden), dann muß der Sensor für 40 ms stabilisiert werden. Nimmt man großzügig an, daß ein Bild ab 3 Pixel Bewegung verwackelt ist, dann muß der Sensor den Unterschied zwischen 3 Pixeln in 2 ms und den Pixeln in 40 ms eliminieren. Wenn man annimmt, daß mit konstanter Geschwindigkeit verwackelt wird (worst case), dann sind das 3*20 Pixel ,die kompensiert werden sollten. Bei 6 µm Pixelpitch und Verwacklung in genau eine Richtung (auch wieder worst case) sind das 6 µm*3*20 Pixel ~ 360 µm Stellweg. Nimmt man noch an, daß keine prophylaktische Gegenbewegung stattgefunden hatt, dann kommt man auf +-360 µm Stellweg.
Aufnahmestabilisierung bei richtig langen großen Brennweiten
Bei z.B. einer Brennweite von 800 mm kommen wir in einen Bereich, in dem ein objektivbasierter IS langsam zu Ehren kommt.
Zum einen wackelt das Sucherbild bei 800 mm am Crip wirklich erbärmlich, zum anderen benötigt man bei diesen Brennweiten genaue Positionsaufnehmer, zum dritten werden durch die 7 ms zusätzliche Stabilisierungszeit gegenüber der primären Belichtungszeit weitere Wege notwendig.
Stabilisiert man z.B. ein 800 mm-Objektiv von 1/1250 s auf 1/80 s (4 Blenden), dann muß der Sensor für 20 ms stabilisiert werden. Nimmt man großzügig an, daß ein Bild ab 3 Pixel Bewegung verwackelt ist, dann muß der Sensor den Unterschied zwischen 3 Pixeln in 0,8 ms und den Pixeln in 20 ms eliminieren. Wenn man annimmt, daß mit konstanter Geschwindigkeit verwackelt wird (bei dieser kurzen Zeit realistisch), dann sind das 3*25 Pixel die kompensiert werden sollten. Bei 6 µm Pixelpitch und Verwacklung in genau eine Richtung (auch wieder worst case) sind das 6 µm*3*25 Pixel ~ 450 µm Stellweg. Nimmt man noch an, daß keine prophylaktische Gegenbewegung stattgefunden hatt, dann kommt man auf +-450 µm Stellweg.
Wie man sieht, verlängern sich die notwendigen Stellwege bei sehr langen Brennweiten, zum anderen kann man aber diese Verlängerung bis zu einem gewissen Grade wieder dadurch kompensieren, da während der Ausregelzeit ein großer Teil der Bewegungen deterministisch sind.
Zur Vermeidung von Hotpixeln wurde daher auch immer empfohlen, das AS auszuschalten, da es zu einer Erwärmung des Sensors führt.
Ich weiß, wie Handbücher entstehen und was für hanebüchener Unsinn darin steht.
In diesem Fall gäbe es IMHO bei entsprechender Brennweite schon sehr große notwendige Auslenkbewegungen...
Sie erhöhen sich leicht bei großen Brennweiten. Teilweise ist das durch eine vorauseilende Vorkompensation abfangbar. Für einen 4-Blenden-IS wären nach meinen Abschängen folgende Wege notwendig:
- f = 30 mm => +- 300 µm
- f = 300 mm => +-360 µm (mit vorauseilende Kompensation: +-300 µm)
- f = 800 mm => +-450 µm (mit vorauseilende Kompensation: +-300 µm)
- f = 2500 mm => +-750 µm (mit vorauseilende Kompensation: +-400 µm)
- f = 8000 mm => +-1800 µm (mit vorauseilende Kompensation: +-1000 µm)
Die Werte gelten für einen 4-Blendenstufen-Stabi und 3 Pixel als Verwacklungsgrenze ohne IS.
Zu meiner Person:
Ich bin Physiker. Das ist diese von Marketing-Experten geführtete Spezies von Mensch, die primär erst mal interessiert, was machbar ist und was die Physik verbietet. Wenn es die Physik nicht verbietet, dann erlaubt es die Physik, auch wenn es das Marketing nicht wahrhaben will. Neben den eigenlich wichtigen praktischen Gesichtspunkten interessiert mich eben auch, was möglich wäre, wenn es kein Marketing geben würde und was technisch prinzpiell machbar wäre ...
Noch was zu Physikern: Mit ihnen ist nicht gut Himbeeren essen, wenn andere behaupten, daß etwa nicht geht, weil es ihnen nicht gefällt.
Himbeeren, hmm. Waren das nicht andere schmackhafte Früchte ... Wie hießen die nur ... Ich komm' nicht drauf.