Carsten Bürgel schrieb:
@ratgallery
für den Fall, dass du das nicht so machst, bist du eine Ausnahme.
Frage mich eh, was der Sinn deiner Antwort sein soll.
Du fragst zwar nur
Dich, was der Sinn meiner Antwort sein soll -- gestatte aber bitte auch eine Antwort von mir:
Bei angeblich allgemeingültigen Aussagen über die Vorlieben von Menschen zucke ich immer etwas zusammen, Carsten. Nicht nur, wenn sie von Klaus-Peter Schöppner von Emnid bei n-tv kommen...
Ich finde es manchmal hilfreich, wenn Menschen feste Überzeugungen haben. Du zum Beispiel stellst überzeugt fest, dass ich eine Ausnahme bin. Das ist gut. Nicht-Ausnahmen gibt es sowieso genug.
Aber ernsthaft: Generell ist wohl nicht ernsthaft abzustreiten, dass es unterschiedliche Konzepte in der Fotografie genauso wie in anderen darstellenden Künsten gibt: Realität wird unterschiedlich wahrgenommen und dargestellt. Ein gutes Beispiel sind hierfür sicher die Impressionisten im Bereich der Malerei. Auch Dadaismus eignet sich wahrscheinlich, um dies zu belegen.
Unter diesem Aspekt so wie Du zu argumentieren, erscheint mir -- hmm, zu eingeschränkt: Ich nehme etwas wahr, das will ich
genau so abbilden (in Bild, Ton, Werkstück, ...). Kann das alles sein? Wo bleibt der Faktor
Inspiration? Nach einem Besuch eines Museums der bildenden Künste kann das Konzept der "wahrheitsgetreuen Abbildung" nicht als das einzig Gültige übrig bleiben, oder?
Und um "rein fotografisch" zu denken: Der verbreitete Einsatz von Filtern (von Infrarot über Farbe bis zu Polarisation) oder eine einfache Langzeitbelichtung sind weitere Belege dafür, dass es Fotografen gibt, die Dinge bewusst "verfälschen".
Wobei ich bei einem interessanten Punkt bin: Der Verfälschung. Auch das Wissen darum, dass unterschiedliche Menschen am selben Ort zur selben Zeit die selben Dinge unterschiedlich wahrnehmen, sollte nachdenklich machen in Bezug auf "das Gesehene" und die Realität. Ich kenne mehrere farbenblinde Menschen (rot/grün) -- und auch nach vielen Gesprächen glaube ich nicht, dass ich "deren Realität" des Gesehenen wirklich verstehen kann.
Das klassische Beispiel der Ampel sei hier fast nur aus Unterhaltungsgründen genannt: "Meine" Farbenblinden denken beim Autofahren nicht in Farbe rot/grün, sondern in Licht oben/unten.
Wie wird eine Wiese gesehen, existiert tatsächlich ein "grünes Band der Sympathie", welche Assoziation löst das "Rote Kreuz" aus, was empfindet ein solcher Mensch bei der Erwähnung von "blauem Blut" -- und nicht zuletzt: Kann er oder sie überhaupt SPD/Grüne wählen?
Jenseits aller Kalauer: Menschen nehmen unterschiedlich wahr. Auch ich tue das, wenn ich morgens schlaftrunken ohne Brille aus dem Fenster schaue und der viel zu helle Himmel in den Augen schmerzt (nach kurzem Reiben der Augen und einer Tasse Kaffee ist er dann plötzlich blau) oder wenn ich abends im Restaurant bei schummeriger Beleuchtung den Teint der Bedienung unglaublich verführerisch finde (im Neonlicht der Küche ist sie plötzlich leichenblass). Ist deshalb aber irgendetwas, was dort wahrgenommen wird,
verfälscht?
Nein, es ist
nicht verfälscht, denn wenn es das wäre, dann müsste es eine eindeutige Definition der Realität existieren. Das klappt aber nicht, wenn wir über Sinneswahrnehmungen reden. Auch hier ein hippes Beispiel der jüngeren Zeit: Es gibt neuerdings eine "gefühlte" Temperatur...
Für den Betrachter selbst ist es Realität. Und jede/r andere, der oder die meint, dass diese Realität verfälscht ist -- ja, mit welchem Recht wird sie oder er das behaupten? Mit dem, dass seine oder ihre Realität die einzig Wahre ist? Das wäre absurd.
Natürlich bewegst Du Dich in Deinem gechlossenen System und kannst argumentieren, dass das, was
Du wahrgenommen hast, auch später durch
Dich wieder im Foto gefunden werden soll. Diese Vorgehensweise ist auf den ersten Blick in sich geschlossen und nachvollziehbar.
Allerdings steht das Konzept auf wackeligen Beinen, wenn wir akzeptieren, dass eben eine andere Justierung meines morgendlichen Auges gegenüber dem des Abends oder gar ein kleiner genetischer "Defekt" die eigene Wahrnehmung komplett verändern können. Schon für uns selbst ist die Wahrnehmung der optischen Realität unterschiedlich!
Trotz aller vorgebrachter Bedenken kann sich natürlich das fotografische Streben einer Person trotzdem auf ein auf sich selbst ausgerichtetes und in sich geschlossenes Konzept beziehen. Daraus allerdings zu schliessen, dass dieser Wunsch allgemeingültig sein muss, halte ich nicht für überzeugend. Denn dass es zu Recht andere Aspekte gibt, habe ich hoffentlich aufzeigen können.
Hier schliesst sich der Kreis: Ich vermute, dass es eine nicht zu unterschätzende Anzahl (mehr als zwei

) von Fotografen gibt, die ähnlich denken wie ich, die "Rohmaterial" sammeln, um es später im Labor an gewünschte Ergebnisse, die nicht immer im Einklang mit dem "tatsächlich Gesehenen" stehen müssen, anzupassen.
Aber wer bin ich, dass ich etwas über die Realität vermute? Wo schon nicht einmal meine eigene konsistent ist...
-rAt