Re: Gleiche Bildwirkung kleines und großes Format?
Erklär mal den Holzweg! Worin liegt der?
Also schön. Vorweg (noch einmal): Die Grundaussage jenes Artikels, die Brennweite habe keinen Einfluß auf die Perspektive, ist korrekt. Und das wird mit Hilfe der Bilder auch sehr schön demonstriert. So weit, so gut.
Unsinnig aber ist die Behauptung, die unbestreitbar raumspreizende Bildwirkung von Weitwinkelobjektiven und die raumraffende Bildwirkung von Teleobjektiven, oftmals umspangssprachlich salopp als "Weitwinkelperspektive" bzw. "Teleperspektive" bezeichnet, sei eine "optische Täuschung".
Niemand wundert sich, daß Dinge kleiner erscheinen, wenn man sie von weiter weg betrachtet. Das ist keine Täuschung, sondern eine streng geometrische, sehr reale Folge der Zentralperspektive, die sich beim Blick in die Welt mit dem Auge bzw. dem Kameraobjektiv ergibt.
Also, warum sollte es jemanden wundern, wenn nicht nur die Dinge selbst, sondern auch die Abstände zwischen ihnen umso kleiner erscheinen, je weiter sie vom Betrachter entfernt sind? Im Gegenteil – es wäre höchst verwunderlich, wenn's anders wäre. Das ist keine Täuschung, die durch eine Fehlinterpretation des Gesehenen im Gehirn entsteht, sondern eine Realität, die direkt auf der Netzhaut (beim Gucken) bzw. auf dem Film oder Sensor (beim Fotografieren) entsteht.
Und warum haben dann Weitwinkelobjektive eine "Weitwinkelperspektive"? Ganz einfach: Weil das, was ins Blickfeld eines großen Bildwinkels fällt, bei einem kleinerem Bildwinkel aus einem größerem Abstand betrachtet werden müßte.
Aber wenn kurze Brennweiten zwangsläufig mit großen Bildwinkeln gekoppelt sind und lange Brennweite mit kleinen Bildwinkeln – ist es dann nicht vollkommen egal, ob die Perspektive als Eigenschaft der Entfernung oder als Eigenschaft des Blickwinkels aufgefaßt wird? Nein, ist es nicht, weil die Perspektive die vom Standort abhängige Relation
aller Dinge zueinander beschreibt. Das hat mit Fotografie oder mit Weitwinkel- und Teleobjektiven schlichtweg nichts zu tun, sondern gilt ganz allgemein. Welche dieser Dinge zufällig in einen willkürlich festgelegten Bilderrahmen fallen und welche außerhalb bleiben, spielt dabei keine Rolle. Perspektive ist kein anderes Wort für Bildinhalt ... und auch nicht für Bildwirkung. Wenn du mit jeweils zehn verschiedenen Brennweiten von exakt ein und demselben Standort aus in hundert verschiedene Richtungen fotografierst – nach vorn, nach hinten, nach links, nach rechts, nach oben, nach unten und in alle beliebigen Richtungen dazwischen, dann gäbe das tausend teils ähnliche, teils völlig unterschiedliche Bilder mit ganz unterschiedlichen Bildwirkungen – aber alle mit derselben Perspektive.