Ich frag mich aber auch immer wieder warum hier im Forum die Theorie so verschrien ist. Für genau solche Fragen braucht man aber einen theoretischen Unterbau, und eher aus der Praxis kommen immer wieder die falsche Mythen.
So sehe ich das auch. Ich bin immer dafür, die Theorie auch noch an der Praxis zu messen - aber die Theorie ganz zu verteufeln und stattdessen allein auf subjektive Erfahrung zu vertrauen bringt uns bestimmt nicht weiter.
Zurück zum Thema: Zu analogen Zeiten mag das (bei identischer Vergrößerung) feinere Korn der größeren Filmformate eine wichtige Rolle für den Look gespielt haben, aber das heutige Sensorrauschen erscheint mir bei Basis-ISO bereits an den kleinen Sensoren vernachlässigbar; außerdem kann man es ja zur Not rausrechnen/glattbügeln.
Wenn also heute noch ein unterschiedlicher Look sichtbar wird, dann am ehesten beim Thema Bokeh bzw. Schärfentiefe. Daher denke ich, es sollte sich die theoretische Diskussion darauf konzentrieren.
Mir stellt sich erst mal die ganz nüchterne Frage, wo man denn heute praktische Beispiele für die theoretische Vergleichbarkeit findet - denn nur dort, wo entsprechende Objektive existieren, kann man die Theorie in der Praxis überprüfen. Theoretisch kann man ja immer behaupten, man könne den Look einer KB-Kamera und eines 1,4/85-Objektivs nachahmen, indem man eine 1"-Kamera mit (Crop 2,7) und ein Objektiv mit 31,5 mm Brennweite und Lichtstärke 0,52 verwendet. Aber da es so ein Objektiv nicht gibt, bringt uns das nicht weiter.
Die Realität sieht doch so aus, dass man die relativen Lichtstärken einiger heutiger KB-Festbrennweiten mit keinem der kleineren Systeme erreicht. Somit ermöglichen KB-Kameras tatsächlich einen Look, den man mit kleinsensorigen Kameras nicht nachahmen kann. Jetzt könnte man lange diskutieren, ob das nun tatsächlich der Sensorgröße zuzuschreiben ist oder eher dem Unwillen der Hersteller, lichtstärkere Objektive für ihre kleinen Systeme zu liefern. Und falls der Bau solcher Objektive nicht an den Herstellern, sondern tatsächlich an technischen Grenzen scheitert (begrenzter Brechungsindex bekannter Glassorten etc.), müsste man die Diskussion sogar nochmal neu führen.
Die nächste Frage ist, wie es "nach oben" aussieht, also im Bereich der MF-Systeme.
Das Lichtstärkste, was ich im aktuellen Hasselblad-Katalog gefunden habe, war ein 2,2/100. Die zugehörige Kamera hat gegenüber KB einen Crop-Faktor von 0,65 - also man bräuchte für ein vergleichbares Egebnis an KB eine Brennweite von 65 mm bei einer Lichtstärke von 1,4. Das gibt es exakt so zwar nicht zu kaufen, aber es gibt 1,4/50 und 1,4/85 und neuerdings auch 1,4/105 - die letzten beiden haben sogar noch einen stärkeren Freistell-Effekt.
Zeiss hatte wohl auch mal ein 2,0/105 für Mittelformatkameras im Angebot. Leica hat für das S-System ein 2/100 - aber nur mit Crop-Faktor 0,8 und somit auch keine Konkurrenz für KB. Mehr Lichtstärke als 2,0 war und ist im Mittelformat anscheinend nicht zu bekommen.
Bezieht man analoge Systeme in den Vergleich mit ein und nimmt man als Extrembeispiel das 6x7-Format (z. B. Pentax 67 mit Crop-Faktor 0,5), dann war das dort erzielbare Maximum ein 2,8/165 Objektiv - was aber auch nur den Freistelleffekt von 1,4/83 an KB-Format erreicht.
Es verfestigt sich der Eindruck, dass das KB-Format in Sachen relativer Objektivlichtstärken heute schon das Optimum darstellt, weil die Lichtstärken der Mittelformat-Objektive eher wieder geringer sind - so dass die MF-Kameras in Sachen Schärfentiefe/Bokeh bestenfalls mit KB gleichziehen können, aber sie nicht übertreffen.
Und jetzt würde ich gern einen Praxisvergleich zwischen KB und MF sehen, der etwas Anderes zeigt.
