AW: Front-/Backfokus bei Objektiven???
Motortoleranzen und fehlende Schärfe-Rückmeldung mag es ja geben, und auch die fälschliche Feststellung eines Fehlfokus durch Anfänger mag vorkommen. Das sind aber alles nicht die Hauptgründe für objektivbedingten Fehlfokus.
Der entscheidende Punkt zum Verständnis ist, dass DSLRs keinen reinen Kontrast-AF verwenden, sondern einen Phasenvergleichs-AF.
Das Grundprinzip ist eine Triangulation - also ein ähnliches Verfahren, wie es die Vermesser beim Messen großer Distanzen anwenden: Man bestimmt von zwei bekannten Punkten aus den Winkel zum Objekt und errechnet aus dem Abstand der Messpunkte und den gemessenen Winkeln die Distanz. In der DSLR funktioniert das in ähnlicher Weise, allerdings mit sehr kurzer Messbasis und ohne Errechnung des Distanz, dafür mit In-Deckung-Bringen zweier "Messstrahlen": Als Messpunkte werden zwei gegenüberliegende Stellen im Außenbereich des Objektivs genutzt; bei korrekter Fokussierung kommt es zur Deckung der beiden Bilder, und der AF meldet "scharf". Es ist vom Funktionsprinzip dem klassischen Schnittbild sehr ähnlich; auch beim Schnittbild muss ein von einem Seitenteil der Linse aufgenommener Bildausschnitt mit dem normalen Mattscheibenbild in Deckung gebracht werden.
Der Triangulations-Phasenvergleich hat mehrere Besonderheiten:
1) Die Genauigkeit hängt von der Fertigungsgenauigkeit des Objektivs ab. Sind Linsen dezentriert oder schief eingebaut, stimmt die Deckung zwischen den Außenbereichen nicht mehr, und es kommt zu objektivbedingtem Front- oder Backfokus. Das ist dann ein reproduzierbarer Fehler und kann auch beim klassischen Schnittbild-Entfernungsmesser passieren. Beim Scharfstellen auf Mattscheibe oder beim Kontrast-AF am Sensor (digitale Kompakte oder DSLR in LiveView) gibt es solche Abweichungen hingegen nicht.
2) Ist der Fokus in der Nähe der optimalen Schärfe, kann der Phasenvergleichs-AF bereits bestimmen, in welche Richtung das Objektiv scharfgestellt werden muss - genau wie beim Schnittbild, wo der erfahrene Fotograf anhand der Verschiebungsposition weiß, ob er nach links oder rechts drehen muss. Ein Kontrast-AF muss hingegen immer probieren oder raten, in welcher Richtung die ideale Schärfe liegt; hier liegt einer der Gründe, warum DSLRs schneller fokussieren als Kompakte.
3) Die Breite der Messbasis, also der Abstand der genutzten Linsenbereiche, entscheidet über die Genauigkeit. Allerdings funktioniert der AF nur, wenn das Objektiv genug Lichtstärke (und somit Durchmesser) hat, damit die Randbereiche überhaupt weit genug entfernt sein können.
Die meisten modernen AF-Systeme sind für Mindestlichtstärke 5,6 ausgelegt. Darunter funktionieren sie gar nicht, weil der genutzte Randbereich der Linse fehlt. (Aus demselben Grund dunkelt eine Hälfte des Schnittbildes bei zu geringer Objektivlichtstärke oder beim Drücken der Abblendtaste ab.) Über Lichtstärke 5,6 funktionieren die Systeme einwandfrei, werden aber auch bei sehr lichtstarken Objektiven nicht mehr genauer, weil sich die Messbasis nicht verbreitert. Einzige Ausnahme sind einige Canons, deren zentraler Sensor ab Lichtstärke 2,8 nochmal etwas genauer wird (dank einer zusätzlichen größeren Messbasis).