Recht komplizierter war die Wahl der optimalen Belichtung, denn die Kamera hat Probleme, den kompletten Kontrastumfang eines Dias mit einer einzigen Belichtung zu erfassen.
Der Dichteumfang des Dias (also der Unterschied zwischen dunkelstem Schwarz und hellstem Weiß des fertigen Diapositivs) hat nichts mit dem Kontrastumfang zu tun, den der Diafilm selbst aus der Realität abbildet. Das kann man leicht durcheinanderbringen. Auch wenn ein Diafilm z. B. nur 7 Blendenstufen Dynamik des Motivs abbildet, kann daraus auf dem Dia ein Dichteumfang von 8 oder 9 Blendenstufen werden. Man sagt auch, Diafilme hätten eine "steile Gradation".
Schon zu Analogzeiten hatte man mit diesem kontraststeigernden Effekt zu kämpfen, wenn man versuchte, ein Dia wieder mit normalem Diafilm abzufotografieren; auch dabei gingen nämlich Details in Lichtern und Schatten verloren. Als Lösung gab es spezielle Duplikatfilme mit flacherer Gradation.
Fotografiert man einfach mit normaler Kontrasteinstellung, kommt es also zu einer starken Kontrastspreizung mit Verlust der Lichter und Schatten des Dias. Ich wählte zunächst in Kamera und RAW-Konverter die niedrigste Kontraststufe. Das führte bereits zu einer Verbesserung, aber es ging bei kritischen Dias immer noch Zeichnung verloren.
Ich hatte schon daran gedacht, von jedem Dia drei Belichtungsvarianten aufzunehmen (um mich dann später für eine zu entscheiden oder ein DRI daraus zu machen), aber zum Glück zeigte sich, dass das RAW-Format hier noch einige Reserven aufweist. Ich fand dann durch Testreihen eine Belichtungszeit (1/200 Sekunde bei aktivierter Lampen-Sparschaltung), bei der sich aus dem RAW-Format gerade noch sehr helle Lichter-Details des Dias hervorholen lassen. Im Bereich der Schatten wird es dann etwas knapp (d. h. in sehr dunklen Details gibt es vielleicht minimale Zeichnungsverluste), aber der Kompromiss ist tragbar. Man sollte auch nicht glauben, jeder "echte" Diascanner sei in der Lage, den Dichte-Umfang von Dias vollständig zu erfassen. Tatsächlich haben laut Tests viele dieser Geräte Probleme mit den Schattenbereichen der Dias.
Hier ein Beispiel für ein sehr kontrastreiches Dia. Es ist reichlich belichtet (mit bloßem Auge wirkt das Dia insgesamt überbelichtet), enthält aber in der unteren Hälfte auch noch sehr dunkle Stellen. Mit der standardmäßigen 1/200 Sekunde abfotografiert und ohne Korrekturen nach JPEG konvertiert, geht viel Zeichnung des Dias in hellen und dunklen Bereichen verloren. Wenn Sie mit dem Mauszeiger über das Bild fahren, sehen Sie, welche Details in Lichtern und Schatten sich noch aus der NEF-Datei hervorholen lassen.
Ich fotografierte also die meisten Serien mit 1/200 Sekunde. Lediglich in ein paar Fällen, wo Bilder eines kompletten Magazins tendenziell über- oder unterbelichtet waren (was mit den damals verwendeten Kameras zusammenhing), nahm ich 1/250 bzw. 1/160 Sekunde als besseren Kompromiss.
Es ist ja nicht so, dass jedes Dia einen gewaltigen Kontrastumfang und gleichzeitig bildwichtige Details in Lichtern und Schatten aufweist. Den meisten "normalen" Motiven tut die Kontraststeigerung, die sich beim Abfotografieren ergibt, sogar gut - denn so vermeidet man eine zu flaue Wiedergabe. Korrekt belichtete Dias sehen beim Abfotografieren mit meiner standardmäßigen Belichtungszeit von 1/200 Sekunde bereits ohne Nachbearbeitung gut aus.
Eine automatische Belichtung, die die Unterschiede von über- oder unterbelichteten Dias etwas nivellieren könnte, halte ich übrigens für kontraproduktiv. Sie würde zwar die mittleren Bereiche ordentlich belichten und relativ "fertige" Bilder liefern, aber angesichts der knappen Dynamik der Kamera wäre die Gefahr sehr groß, erst recht die Lichter oder Schatten zu schädigen - je nachdem, in welche Richtung die Automatik korrigiert.
Man muss sich ja nur die obige Aufnahme ansehen: Die Kameraautomatik würde zugunsten des hellen Hintergrunds knapper belichten, und die dunklen Stellen im Vordergrund würden dadurch völlig im Schwarzen absaufen. Umgekehrt würde z. B. eine typische Nachtaufnahme viel zu hell abfotografiert, was den Verlust der Lichter-Details zur Folge hätte. Auch die RAW-Reserven würden dann nichts mehr nützen.
Die Wahl einer starren Belichtungszeit schien mir also die einzig sinnvolle Wahl zu sein, weil sie der Garant dafür ist, den Dichteumfang des Dias unabhängig vom Motiv möglichst vollständig zu erfassen. Dass dies eine gelegentliche Nacharbeit im RAW-Konverter erfordert, ist aus meiner Sicht kein wirklicher Nachteil. Hauptsache, die Details stecken in der Datei noch drin.
Wenn alles andere versagt und man hohe Ansprüche an den Erhalt von Lichter- und Schattenzeichnung stellt, könnte man kritische Motive immer noch als Belichtungsreihe aufnehmen und die Teilbilder hinterher über Ebenenbearbeitung oder ein DRI-Programm zusammenfügen.