Ich hatte bei Geburt einen starken Schiel-Sehfehler, und bei der operativen Behebung des Fehlers hat der Arzt die Augen irgendwie von einander getrennt. Seitdem (also seit ich denken kann) kann ich zwar auf beiden Augen sehen, allerdings nur auf einem Auge gleichzeitig. Ich kann zwischen den Augen hin- und herschalten, es findet jedoch keine Ueberlagerung der Bilder in der Mitte statt (das zweite, jeweils inaktive Auge sieht zwar noch den Rest, aber nur unscharf am Rand). Faktisch sehe ich also wie ein
Einäugiger. (Für Euch leicht nachzuvollziehen: Einfach ein Auge zuhalten.)
Mein Leben wurde dadurch folgendermaßen beeinflusst:
- Zunächst mal sehe ich alles ganz ausgezeichnet, ohne Probleme.
- Die von Euch gezeigten 3D-Wackelbilder sehe ich ganz ausgezeichnet dreidimensional, so wie jeder andere Mensch auch. Klar, das täuscht ja auch die Realität täuschend echt vor!
- Rot-Grün-Bilder halte ich (analog zu DottoreMabuse) für den größten Schwachsinn, der je erfunden habe. Ich sehe dort nämlich überhaupt nichts, nur Rot und Grün.
- Wenn der Augenarzt mir das graue Flimmerbild vor die Nase hält und fragt, ob ich die Katze sehe, zeige ich ihm einen Vogel. Welche Katze?? Das ist ein Haufen grauer Punkte, that's it. Jeden, der darauf eine Katze sieht, sollte man in die Klapsmühle stecken. ;-)
- Brauche beim Gewehrschießen auf der Kirmes und zum Fotografieren kein Auge zuzumachen (sieht für andere lustig aus), schalte einfach auf das richtige Auge um (ja, das geht! Ihr könnt das nicht, aber ich!).
- Sehe die ganze Welt genauso 3D wie Ihr auch, jedoch ohne den "gefühlten" 3D-Effekt. Wie soll man das beschreiben? Natürlich weiss ich, dass der Bildschirm vor meinen Augen dreidimensional ist, er könnte aber auch jede andere Form haben, die ihn für mich dreidimensional aussehen lässt. Vor meiner Nase könnte auch ein Bildschirm im richtigen Winkel an die Wand gemalt sein, ich würde den Unterschied vielleicht nicht bemerken. In der Tat falle ich vereinzelt auf dreidimensionale Abbildungen von Gegenständen herein, die gar keine sind.
- Durch logisches Denken habe ich herausgefunden, dass
Kinofilme für mich tausendmal realistischer sind als für Euch, denn ich sehe die Welt auf der Leinwand kein bisschen anders als in Wirklichkeit. Während Ihr euch also langweilt, weil kein 3D, ist für mich jeder Kinobesuch wie das wahre Leben. Und das zum gleichen Preis! Na, neidisch?

- Bei mir findet keine komische Verdoppelung des Vorder- oder Hintergrundes statt. Wenn ich also einen Bleistift vor mein Auge halte, dann sehe ich genau
einen Bleistift und
einen Hintergrund und nichts doppelt. (Leute mit richtigem Sehvermögen haben mir erzählt, dass man damit doppelt sieht. Kann ich mir irgendwie nicht vorstellen. Kann das mal jemand für mich aufzeichnen oder fotografisch darstellen?
- Habe schon einige Sprüche gehört:
"Und damit darf man Auto fahren? Unglaublich!" Da kontere ich dann immer: Wieso darf jemand Auto fahren, der den Hintergrund doppelt sieht, wenn er einen Bleistift ganz dicht vor seine Nase hält? Lebensgefährlich! Wie viele Kinder hast Du schon überfahren, weil Du sie doppelt gesehen hast?
- Das Einschätzen von Entfernungen ist in der Tat etwas schwierig. Es kommt oft vor, dass ich mit meiner Hand etwas umwerfe, weil ich eigentlich dachte, es wäre weiter weg. Dazu ein einfacher Test: Verbindet Euch mal ein Auge (oder haltet es zu), hockt Euch vor einen Tisch (so dass die Tischplatte auf Augenhöhe steht) und versucht mit einer Flasche ein auf dem Tisch stehendes Glas einzuschenken. Ihr werdet das Wasser wahrscheinlich daneben gießen, wenn Ihr mit dem Kopf wirklich auf Höhe der Tischplatte bleibt. Und Ihr werdet ganz erschrocken sein, wie Euch das passieren konnte. Denn Ihr seid ja nicht blind, oder? Alternativ könnt Ihr auch alle ein Auge zumachen und versuchen, Euch mit ein paar Biergläsern in der Mitte auf Augenhöhe zuzuprosten. Wetten, das gibt Scherben? Man muss das üben, so zu leben, dann klappt's irgendwann.
- Ball fangen? Nimmer! Vor allem, wenn er seitlich an mir vorbeifliegt (Tennis, Badminton etc.) Wenn er gerade auf mich zufliegt, klappt es vielleicht noch.
- Ehrlich gesagt, ist es für mich sehr schwer vorzustellen, wie
Ihr sehen könnt!
Würde insbesondere von Dottore Mabuse gerne mal hören, ob er die Probleme mit dem Umwerfen von Gegenständen auch hat. Interessanterweise kenne ich keine medizinische Bezeichnung für meinen Sehfehler, aber ich habe schon gehört, dass eine ganze Reihe von Menschen davon betroffen ist.
Viele Grüße aus dem 2D-Reich (ich liebe es hier!)
Uli
@Achim_K
Im Gegenteil, gerade der
nicht räumlich Sehende hat bei den Wackelbildern einen besonders starken 3D-Effekt, denn er sieht die richtige Welt ja auch nicht anders. Wie schon weiter oben beschrieben: Das Kino ist für mich viel realistischer als für Euch.
@elastico
ich denke mal, durch das Wackeln wird eine Art Kamera-Fahrt simuliert. Dadurch erkennen wir in einem Bild, welche Objekte näher sind (bewegen sich mehr) und welche weiter weg.
Nicht ganz richtig. Schau bitte nochmal genau hin: Bei den Wackelbildern wird ein "Drehpunkt" simuliert, das ist ein Gegenstand in einer bestimmten Entfernung (zum Beispiel der Stock auf dem Bild weiter oben, ein gutes Beispiel). Um diesen Drehpunkt dreht sich die Kamera. Logischerweise bewegt sich der Drehpunkt überhaupt nicht, alles andere bewegt sich. Und zwar umso stärker, je weiter der Abstand des Objekts zum Drehpunkt. Der Horizont bewegt sich am stärksten. Gegenstände
vor dem Drehpunkt bewegen sich
in die eine Richtung, Gegenstände
hinter dem Drehpunkt
in die andere. Dadurch entsteht der Eindruck eines Raumes.