Es freut mich, hier offensichtlich eine rege Diskussion angestoßen zu haben mit sehr interessanten Beiträgen.
Der Titel "Segen oder Fluch?" war natürlich mit Absicht etwas provozierend, man will ja auch Neugierde wecken. Außerdem wollte ich durchaus meinen Ärger darüber ausdrücken, daß hier im Forum immer wieder in teilweise recht ruppigem Ton über vermeintliche Schwächen vieler Objektive hergezogen wird, die, auch wenn sie nicht
100%-ig optimal (

) sind, doch vergleichsweise sehr viel fürs Geld bieten. Die Diskussion über das Canon EF 17-40/4 L an Vollformat ist für mich ein Beispiel dafür. Als Argumentationhilfe dienen dann immer jede Menge 100%-Crops.
Wenn ich dann sehe, was so eine Linse unter optimalen Bedingungen (z.B. Stativ, deutlich abgeblendet, ggf. Spiegelvorauslösung, sorgfältige Ausarbeitung am PC) selbst bei 17mm Brennweite an einer 5DII bringen kann - selbst bis in den Ecken! - indem ich mir Ausschnitte aus einer Bildgröße von 1,5x1 Meter (!!!) betrachte, dann kann ich nur sagen: Hut ab, Canon prima Leistung!
Es war immer schon so: Optimale Bildergebnisse erfordern sehr sorgfältiges Arbeiten und gute Kenntnisse des Equipments. Das gilt für die technische Qualität und für die Gestaltung. Wenn man die Grenzen seiner Ausrüstung kennt wird man mehr heraus holen und die Schwächen so gut es geht umgehen. Nebenbei: gute Schnappschüsse kann man auch mit einem Handy machen.
Aus meiner Zeit mit eigenem Fotolabor (ca. 1985-2000) und der Arbeit mit ziemlich guter Technik aus dieser Zeit (Kleinbild: Canon A1, später T90, danach EOS 3 / Mittelformat: 6x6 Rolleflex 3,5 Planar und Mamiya C330) traue ich mir zu, kompetent vergleichen zu können.
Ich finde, die Canon 5DII (und sicher alle vergleichbaren Kameras der anderen Hersteller, die ich aber nicht besitze) "kratzt" mit guten Optiken durchaus an der Bildqualität des Mittelformates, jedenfalls was die Mamiya angeht.
Wenn ich dann bedenke, welche fantastischen Annehmlichkeiten Details wie z.B. IS, einstellbare ISO-Werte bis in Bereiche, die es früher gar nicht gab usw. bringen, bin ich einfach nur erstaunt und begeistert.
Wer natürlich absolut kompromisslose Qualität auch bei Offenblende bis in die Bildecken bei 24MP Vollformat haben will, der muss sehr, sehr viel Geld ausgeben. Früher schon und auch heute immer noch. Ab einer gewissen Qualitätsstufe war früher sowieso klar, daß man das Mittelformat benutzen musste, Mamiya, Rollei oder am besten Hasselblad. Und für noch mehr waren dann Plattenkameras angesagt. Und das war teuer! Und aufwändig!
Meine Ausrüstung (Kameras und Labor) konnte ich mir überhaupt nur leisten, weil ich zu 90% gebrauchte Technik gekauft habe.
Tatsache ist, daß man heute schon für wenig Geld erstaunliches geboten bekommt, z.B. bei Kompakten (die waren zu Analogzeiten häufig schrottig, jedenfalls die billigen). Für viel Geld bekommt man hervorragende Technik und für ein Vermögen absolute Spitzenleistungen. Im Vergleich bezahlte man Anfang der 80-er Jahre für eine einigermaßen umfangreiche Ausrüstung mit einer Canon A1 und einem kleinen hochwertigen Objektivpark mit guten Festbrennweiten und vielleicht einem Zoom kaum weniger als man heute für eine 5DII mit Kit-Zoom 24-105 + 70-200/4 L hinblättert. Aber was für ein Unterschied in der Vielseitigkeit, im Handling, aber auch in den erreichbaren Ergebnissen! Dabei muss man auch beachten, daß preiswerte Farb- und Diafilme damals noch lange nicht so gut waren wie heute.
Klar vergleichen die Test und die Nutzer heute nicht mit der Technik von vor 30 Jahren, wozu auch, sondern mit der aktuellen Konkurrenz. Aber ich finde es lohnt sich, mal kurz inne zu halten und zu schauen, wo wir heute stehen und was Canon, Nikon, Pentax und Co uns heute tolles bieten. Das beugt möglicherweise einer gewissen Unersättlichkeit und Hybris vor.
Um es deutlich zu sagen: ich verteufele die 100%-Ansicht in keiner Weise, die hohen Zoomfaktoren sind als Werkzeug für die rotinemäßige Beurteilung praktisch unerlässlich und nicht erst, wenn man mal ein Riesen-Poster anfertigen will bzw. muss. Ich liebe es, auf diese Weise sozusagen auch mal in ein Bild "hinein spazieren" zu können, das war auch immer meine Faszination an einem guten Mittelformat-Dia, wo man ohne weiteres an die Leinwand heran treten und sich an den Details ergötzen konnte.
Aber der 42-fache Vergrößerungsmaßstab (bei der 5DII) in der 100%-Ansicht kann nicht der Maßstab sein, um Mindetsanforderungen zu formulieren nach dem Motto: "Wenn ich da in den Ecken leichte CA´s entdecke und nicht alles knackscharf ist bei Blende 2 schick ich es zurück, versenke es in der Bucht oder lass es justieren und wehe wenn es dann immer noch so schrottig zurück kommt."
In dem Sinne: lieber mal "runter kommen", sich freuen und kreativ mit dem Equipment arbeiten (oder halt im Lotto gewinnen, sich ebenfalls freuen und sich einen Fuhrpark Zeiss-Linsen anschaffen).
Gruß, Jürgen