Immer, wenn etwas vereinfacht wird, um den Normalnutzern den Umgang mit komplizierten Sachverhalten zu "erleichtern", entstehen Unkorrektheiten in der Begrifflichkeit. Allzu oft rächen sich diese Unkorrektheiten - und zwar spätestens mit Weiterentwicklung der Technik, wenn die Metaphern plötzlich nicht mehr passen, aber sich ein Großteil der Anwender inzwischen die verkorksten Begriffe eingeprägt hat.
Wir kennen ja auch Parallelfälle aus der Fotografie, z. B. die Umrechnung der Brennweiten auf "Kleinbild-Standard" mit all den daraus resultierenden Missverständnissen.
Mit PAL und NTSC ist es nicht anders. Die Geräte- und Programm-Hersteller (nicht nur Canon) haben leider ein heilloses Chaos durch die penetrant falsche Verwendung der Begriffe "PAL" und "NTSC" angerichtet. Heute kann so ziemlich alles dahinterstecken.
Das Ganze sollte wohl ursprünglich dazu dienen, den zahlreichen Laien die Unterscheidung der 50-Hz-Welt und der 60-Hz-Welt zu erleichtern. Inzwischen ist das Gegenteil der Fall.
Wie hier schon geschrieben wurde, waren PAL, Secam und NTSC ursprünglich nur Farbcodierungsverfahren für analoges Fernsehen. Mit den Bildwechselfrequenzen hatte das nicht direkt zu tun; die standen ja in jedem Land schon seit Einführung des Schwarzweißfernsehens fest und wurden aus Kompatibilitätsgründen auch für Farbe (nahezu) beibehalten.
In Westdeutschland und den meisten westlichen Staaten Europas gab es PAL in 50 Hz, in Frankreich und im Ostblock wurde Secam in 50 Hz verwendet. In Nordamerika und Japan wurde NTSC in 60 Hz zum Standard, in einigen Ländern Südamerikas hingegen PAL in 60 Hz. Meines Wissens gab es nirgends NTSC in 50 Hz oder Secam in 60 Hz, aber technisch möglich gewesen wäre auch das.
Irgendwie hat sich dann aufgrund der häufigsten Nutzung NTSC als Synonym für 60 Hz und PAL als Synonym für 50 Hz herausgebildet. Und damit fing die Verwirrung an.
Bei Einführung digitaler Videostandards (z. B. DVD) stand dann "NTSC" plötzlich für 60 Hz und 480 Zeilen, und "PAL" stand für 50 Hz und 576 Zeilen. Die Leute in Brasilien oder Argentinien dürfte das ziemlich verwirrt haben, weil sie ja an PAL mit 60 Hz und 480 Zeilen gewöhnt waren. Bis heute steht die Buchstabenkombination PAL auf allen 50-Hz-DVDs und NTSC auf allen 60-Hz-DVDs. (Dass mit dem Regionalcode noch eine zusätzliche Abspielsperre für die jeweils fremde Region geschaffen wurde, die mit der Norm gar nichts zu tun hat, machte die Verwirrung nicht kleiner.)
Aber dann kamen die HD-Formate, die ja überall dieselbe Auflösung bieten. Und trotzdem scheint sich "PAL" im Sinne von 50 Hz und "NTSC" im Sinne von 60 Hz auch hier durchzusetzen - so falsch und blödsinnig es auch immer schon gewesen sein mag. Wo man die heute so wichtigen 24 Hz einordnen soll, ist nur eine der offenen Fragen, die sich aus der Begriffsverwirrung ergeben hat.
Leider wird man diese Begriffsverwirrung nicht mehr aus der Welt kriegen. Wenn Canon PAL- und NTSC-Einstellungen anbietet, wird es sich auf den analogen Ausgang beziehen; die Framerate wird dann entweder in der Geschwindigkeit angepasst oder auf eine etwas ruckelige Art gewandelt. Gängige Digitalkameras mit ihren 30-fps-Videos (bei Canon übrigens echte 30,00 fps, also nicht die eigentlich für NTSC nötigen 29,97 fps) praktizieren das seit Jahren.
Eigentlich müsste man für jedes Gerät, das heute Videos ausgibt, ein "Insider-Handbuch" schreiben, in dem genau aufgeschlüsselt wird, was in welcher Einstellung genau passiert. Da gibt es, wenn man genau hinschaut, so manche Überraschung.