Danke für das Lob, das spornt doch zum Weitermachen an!
8. Tag Von Nørdstedalseter nach Arentzbu
Nachdem ich heute morgen gefrühstückt habe, gilt mein erster. kritischer Blick dem Fluss. Leider führt der immer noch ganz schön viel Wasser, die Unterschiede zu gestern sind eher marginal. Aber es hilft nichts, ich muss irgendwie durchkommen...
Etwas planlos streife ich durch das Gewirr aus kleinen Bächen bis ich schliesslich aufgebe - ich muss doch furten. Also die Hose hochkrempeln, die Sandalen an und hinein in das kühle... arschkalte... Nass. Am Anfang ist es noch recht flach, aber um so mehr ich in den Bereich der Strömung komme, desto tiefer wird es. Ich ziehe die Hose noch ein Stück höher und öffne alle Schnallen vom Rucksack. Das Wasser zieht an mir, aber zum Glück sind es nur noch ein paar Meter und ich hab es geschafft. Ich trockne mich so gut es geht ab und schlüpfe wieder in die Wanderschuhe. Nun ist der Weg zur Hütte ein Kinderspiel, nicht nur, dass ich auf der richtigen Flussseite bin, der Wanderweg geht auch noch in eine Straße über.
In der Hütte kaufe ich mir eine Cola und unterhalte mich ein wenig mit der Hüttenwirtin, die gerade ihren Urlaub in Deutschland verbracht hat und mir von den deutschen Städten vorschwärmt. Ich kann sie ein bisschen verstehen, dauerhaft leben wollte ich hier wohl auch nicht. Als dann noch eine deutsche Familie zu uns stößt, die in der Nähe Ferien auf dem Bauernhof macht, ist die Runde komplett...
Irgendwann verabschiede mich und mache mich wieder auf den Weg. Mein Ziel für heute ist Arentzbu, das letzte Etappenziel bevor ich morgen am Jostedalsbreen ankomme.
Erstmal geht es weiter die Straße entlang, die zu einem Wasserkraftwerk an einem See führt. Von dort führt dann der Wanderweg weiter - allerdings in keiner der 4 Himmelsrichtungen, sondern einfach... nach oben!
Es ist fast unglaublich, dass durch die fast senkrechte Wand wirklich ein Wanderweg führt, aber irgendwie komme ich Stück für Stück weiter hinauf. Aufpassen muss man dennoch, alle Felsen sind nass und schlüpfrig und immer wieder muss ich mich an den Büschen festkrallen.
Als ich oben ankomme begrüßt mich eine kalte Windböe. Ich bin wieder im Hochgebirge und schnell hole ich die Jacke aus dem Rucksack. Ein paar Norwegerinnen hatten mir vorgeschwärmt wie schön es hier sei und dass man bestimmt hervorragend zelten kann. Was meine Augen sehen, ähnelt eher einen riesen Müllkippe in der die umliegenden Gletscher sämtlich Geröllbrocken, die sie finden konnten, deponiert haben. Schönheit liegt wohl im Auge des Betrachters, der einsetzende Regen sorgt nicht unbedingt für eine Veränderung meiner Einschätzung.
In Schlangenlinie suche ich mir einen Weg um die Geröllhaufen und stehe unzählige Male vor irgendwelchen meterhohen Abhängen, die mich wieder zur Umkehr zwingen.
Die vor mir liegende Strecke muss ich ohne Karte laufen, da genau dieser Abschnitt zwischen meinen Kartenausschnitten fehlt. So bin ich mehr als überrascht, als ich plötzlich vor einem riesigen Gletscher stehe, der sein Schmelzwasser in einen tief unter mir liegenden See hinab schickt. Bei Sonnenschein ist es hier bestimmt wunderschön, bei den tiefhängenden Wolken strahlt der Gletscher aber etwas bedrohliches aus.
Ich steige den Hang zum See hinab und komme jetzt deutlich besser voran. Der Weg ist weitgehend flach und läuft sich gut. Schnell habe ich daher den See umrundet und komme zu dessen Auslauf. Hier presst sich das gesamte Schmelzwasser des Gletschers durch ein enges Flussbett und die Brücke, die über die tosende Flut führt, zeugt von der gewaltigen Wucht, Ein Geländer fehlt komplett, die Treppen die hinauf und hinab führen sind weg gerissen und die armdicken Strahlsteben mit denen die Brücke verankert ist, sind verbogen.
Da ich eh keine andere Wahl habe, taste ich mich vorsichtig über die geschundene Konstruktion. Es schwank zwar ziemlich aber alles hält und so komme ich heile auf der anderen Seite an.
Ich habe inzwischen jedes Zeitgefühl verloren und ohne Karte habe ich auch keine Ahnung, wie weit es noch bis zur Hütte sein mag. Da hier Zelten aber eh unmöglich ist, muss ich eh weiter.
Ich steige einen kleinen Hügel hinauf und folge auf der anderen Seite einem kleinen Fluss, der nach und nach immer weiter an Stärke zunimmt. Ich denke mir nichts weiter dabei, bis ich plötzlich auf der einen Seite und das nächste rote T auf der anderen Seite des Flusses ist. Etwas planlos bleibe ich stehen. Der Fluss ist bestimmt 5-6 Meter breit und rauscht mit unglaublicher Wucht an mir vorbei. Ich schnalle den Rucksack ab und mache mich auf die Suche nach einer möglichen Furtstelle.
Vergeblich, das einzige, was ich finde ist eine ca. 1,5 Meter breite Stromschnelle - wenn es auf der anderen Seite flach wäre könnte man es vielleicht mit einem Sprung versuchen, aber der glatte Stein ist vom Regen nass und hat bestimmt 45° Steigung. Ein kurzer Blick in das tosende Wasser und mein Mut ist wie weggespült. Hier geht es definitiv nicht.
Nachdem ich soweit es möglich ist den Fluss untersucht habe, stehe ich wieder bei meinem Rucksack. So beängstigend der Fluss hier vorhin auch wirkte, die Stelle ist mit die ruhigste. Wenigsten versuchen will ich es und so bin ich zum zweiten Mal am heutigen Tage dabei meine Hosenbeine hochzukrempeln. Zögernd trete ich in den Fluss und verliere fast das Gleichgewicht. Schnell habe ich mich aber wieder gefangen und taste mich vorsichtig durch die Fluten. In der Mitte angekommen verschwinden meine Knie im Wasser und es wird noch tiefer. Zitternd beschliesse ich, dass eine nasse Hose nicht unbedingt sein muss und kehre um. Wieder am Ufer angekommen ziehe ich die kurze Hose aus und wage einen neuen Versuch. Inzwischen bin ich mutiger und schnell wieder in der Flussmitte angekommen. Ab hier wird es mit jedem Schritt tiefer und ich muss alle Kraft aufwenden um meine Füße halbwegs gerade voreinander setzen zu können. An der tiefsten Stelle, das Wasser erreicht fast schritthöhe, stemme ich mich mit aller Kraft mit den Wanderstöcken gegen die Flut. Erst als ich eine kräftige Birkenwurzel greifen kann, wird mir klar, dass ich es geschafft habe. Zitternd und mit leicht bläulichen Beinen ruhe ich mich aus und merke wie die Anspannung von mir abfällt.
Als ich mich eine gefühlte Ewigkeit immer noch zitternd wieder aufraffe, wollen mir meine Beine nicht mehr wirklich gut gehorchen. Wie ein Betrunkender stolper ich durch die Gegend und rutsche ständig aus. Erst als ich auf einer steilen Steinplatte ins rutschen gerate und fast doch noch dem Fluss zum Opfer falle, sorgt das Adrenalin wieder für ein halbwegs vorhandenes Körpergefühl. Insgeheim reicht es mir aber für heute und ich sehne nur noch einen geeigneten Zeltplatz oder die Hütte herbei.
Als wäre ich erhört worden, sehe ich plötzlich auf der anderen Seite des steil eingeschnittenen Tals eine kleine Ansammlung brauner Häuser. Das muss die Hütte sein!
Motiviert spüre ich wie neue Kraft in meine Beine strömt und mich den Hang hinunter trägt. Leider wird mein Vorwärtsdrang jäh gestoppt. Ein Schild weist mich darauf hin, dass der normale Weg einem Unwetter zum Opfer gefallen ist und dass ich dem neuen Pfad folgen soll. Skeptisch blicke ich mich um - es gibt keinen neuen Pfad, in den steilen Hang sind nur in 200m -Abständen Holzpflöcke mit roten Streifen geschlagen. Da das wohl kein Massengrab toter Vampire sein wird, folge ich den Pflöcken und kämpfe mich durch das körperhohe Gras und Gebüsch. Immer wieder knicke ich dabei in tiefen Löchern um, die sich unsichtbar darunter verbergen. Inzwischen habe ich ernsthaft schlechte Laune und lebe die auch ungehemmt aus - einer der Vorteile wenn man alleine unterwegs ist...
Irgendwann stehe ich mitten im Steilhang und alles was auch nur irgendwie rot aussieht ist aus meinem Blickfeld verschwunden. Ich gebe es auf und suche mir meinen eigenen Weg ins Tal hinab. Als nach einer gefühlten Ewigkeit meine Füße endlich halb im Sumpf versinken, der das komplette Tal bedeckt, bin ich unglaublich erleichtert. Mit schmatzenden Schritten steuer ich auf die Hütte zu und jetzt stören mich auch die Umwege nicht mehr, die mir das Geläne aufzwingt. Noch über eine letzte Brücke und ich komme total fertig an der Hütte an. Erleichtert schmeiße ich den Kocher an und schütte erstmal fast 3 liter Tee mit viel Zucker in mich rein, bevor ich endlich wieder warm bin.
Erst als ich abends die Fotos des Tages durchschaue, wird mir klar, dass ich die auf der Karte angegebene Zeit von 7 Stunden genau eingehalten habe - ich war mir unglaublich langsam vorgekommen...
Da es seit einer guten Woche das erste feste Dach über meinem Kopf ist, geniesse ich den Komfort bis spät in die Nacht - die ich dann allerdings sehr unruhig schlafe, es ist viel zu warm und zu still.