Spiegellose Systeme haben ihre Berechtigung. Sie sind anders. Nicht besser. Und es ist definitiv nicht die Zukunft.
Als Kaiser Wilhelm II die ersten Automobile vorgeführt bekam, war er zwar begeistert von diesen neuen Spielzeugen – er war sehr technik-affin – doch traute er diesen kostspieligen, komplizierten und pannenanfälligen Knatterkisten nicht zu, in absehbarer Zukunft in der Landwirtschaft, beim Militär und im allgemeinen Transportwesen das Pferd ersetzen zu können. "Ich glaube an das Pferd," sagte er damals.
Wer heute sagt, spiegellose Systeme seien "nicht die Zukunft", ist ebenso phantasielos, wie Willi Zwo es damals war. Das Automobil auf dem technischen Stand von 1910 und in der Infrastruktur von 1910 (Straßennetz, Tankstellennetz, Händler- und Werkstättennetz) hätte das Pferd natürlich nicht wirklich ersetzen können. Aber es bleibt doch nicht ewig 1910! Und genau wie damals schreitet auch heute die technische Entwicklung immer weiter fort, und das rasend schnell. Kurze Akkulaufzeiten und flimmernde Elektroniksucher mögen heute noch ein Schwachpunkt der spiegellosen sein – aber das sind angesichts des technischen Fortschrittes bloße Nichtigkeiten. Abgesehen davon flimmert der Sucher einer Fujifilm X-T1 oder einer Olympus OM-D E-M1 heute schon so gut wie gar nicht mehr, und mit einer Akkuladung schaffe ich unter günstigen Umständen über 1.000 Aufnahmen.
Wer jetzt sagt, na gut, aber die X-T1 und die E-M1 sind die teuren Spitzenmodelle ihrer jeweiligen Modellreihen – na und? Was heute noch Spitzentechnik ist, findet sich morgen in jeder Einsteigerkamera.
Ein [elektronischer] Sucher ist eine Einschränkung beim Fotografieren und wird es immer sein.
Ach bitte, das ist doch lächerlich! Genau das Gegenteil trifft zu – der optische Sucher ist eine veraltete Krücke und schränkt den Fotografen ein. Der Autofokus ist ungenau, weil indirekt über Spiegel, Hilfsspiegel und Hilfssensor, manuelle Fokussierung und Schärfentiefebeurteilung ist kaum möglich, weil die Mattscheibe entweder zu glatt oder zu dunkel ist, die Belichtung kann erst nach der Aufnahme kontrolliert werden, der Spiegelschlag verzögert die Auslösung, begrenzt die maximale Bildfrequenz und erschüttert die Kamera im ungeeignetsten Moment.
Der optische Spiegelreflexsucher mit Schwingspiegel ist ein Anachronismus aus der Zeit chemischen Films und liveview-unfähiger CCD-Sensoren. Heute ist eine digitale Systemkamera in Form einer Spiegelreflex so sinnvoll wie ein Automobil in Form einer Pferdekutsche, bei der man nur die Deichsel entfernt und durch einen Motor ersetzt hat. Die frühen Automobile waren tatsächlich genau das – umgebaute Pferdekutschen. Und die frühen Systemdigitalkameras sind umgebaute Spiegelreflexkameras ... aber zum Glück ändert sich das in diesen Tagen.
... ich zum Beispiel würde auf den satten Spiegelschlag und den Blick durch einen optischen Sucher nicht verzichten wollen.
Aber wenn ich so richtig die Seele baumeln lasse und meinem Hobby nachgehe, zieh ich mit einem Spiegel und einem riesigen optischen Sucher los.
Na also – Äußerungen wie diese zeigen ja wohl überdeutlich, daß es den Befürwortern der SLR-Technik gar nicht um das beste Werkzeug zum Bildermachen geht, sondern ums verzweifelte Festhalten am liebgewonnenen Althergebrachten. Frei nach der Beamten-Maxime: (1) Das haben wir schon immer so gemacht. (2) Das wurde noch nie anders gemacht. (3) Da könnte ja jeder kommen.
Das hat mit nem Generationenkonflikt auch am ehesten nur insofern zu tun, als das viele "alte Hasen" aufgrund ihrer Erfahrung wohl eher das kaufen, was sie wirklich brauchen, anstatt gleich jedem Trend hinterherzurennen, nur weil's modern ist.
Wer wirklich ein alter Hase ist, der weiß albernen Trend von nützlichem Fortschritt zu unterscheiden
Als Sony im Jahre 2006 die
Imaging Division von Konica-Minolta übernahm, sagte einer der dafür verantwortlichen Sony-Manager in einem Interview, diese Spiegelreflexkameras seien viel zu kompliziert aufgebaut und enthielten zu viel teure und anfällige Mechanik. Als langjähriger Spiegelreflexer und Besitzer einer Konica-Minolta Dynax 7D mit vielen Minolta-AF-Objektiven war ich entsetzt. Wollen die etwa den wunderbaren optischen Spiegelreflexsucher durch einen Haufen billige Elektronik-Sch...e ersetzen!? Ich sah schwarz für die Zukunft der hochwertigen Systemkamera, zumindest bei Sony.
Heute sind wir neun Jahre weiter, und bei Sony (und auch vielen anderen) gibt's keinen Schwingspiegel mehr. Und das ist gut so, wie ich mittlerweile eingesehen habe. Ich habe mich nach über 30 Jahren vom Prinzip der spiegellosen Systemkamera mit elektronischem Sucher überzeugen lassen. Denn das Bessere ist des Guten Feind. Jahrzehntelang habe ich mich für die immer neueste Spiegelreflextechnik interessiert. Heute geht die mir dermaßen am dorsalen Hinterende vorbei. Ich interessiere mich doch auch nicht für antike Klapp- oder Boxkameras von vor 70 Jahren ... oder wenn, dann höchstens als Sammler, Historiker oder Romantiker, aber doch nicht als Fotograf.
Ein Punkt ist allerdings nicht ganz von der Hand zu weisen – die Sache mit dem Anschaffungspreis. Die wirklich interessanten spiegellosen Systemkameras mit anständigem elektronischen Sucher sind (noch) recht teuer, während man eine DSLR der Einsteiger-Klasse mit Kit-Objektiv (noch) für 'n Appel und 'n Ei bekommt. Ist ein Argument, zugegeben. Trotzdem mag ich das keinem Einsteiger wirklich empfehlen – denn wer billig kauft, kauft zweimal. Spätestens wenn man mehr will als nur das billige Einsteiger-Kit. Denn auch für eine billige Spiegelreflexkamera sind hochwertige Wechselobjektive teuer. Und sobald man sich darauf einläßt, steckt man drin in dem jeweiligen System, und dann würde ein Systemwechsel zu einer kostspieligen Angelegenheit werden. Das wird der Moment sein, in dem man sich wünschen wird, nicht auf das billige Sonderangebot angesprungen zu sein, sondern gleich auf das richtige Pferd gesetzt zu haben.