AW: Der hässlichste Rathausplatz Deutschlands
Das
Rathaus von Ingolstadt ist wahrhaft Meisterleistung des Genius eines
begnadeten Architekten und dessen subtiler sowie gesellschaftsbewußter
Schaffenskraft.
Das
Pforzheimer Rathaus hingegen besitzt durchaus einen zeitgebundenen
Charme dessen, was Anklänge an den Betonbrutalismus beinhaltet. Die Ge-
staltung der Baukörper und die Detaillierung weisen eine gewisse Porportio-
nierung und Lebendigkeit auf, die durchaus ein Potential besitzt, allein die
an der Fassade angebrachte Uhr ist ein Mistgriff.
Eine gewisse Tristesse wird man der Bodengestaltung und dem Erlebniswert
des Vorplatzes jedoch nicht absprechen können.
Der
Betonbrutalismus konzentrierte sich auf die Zeit der 1950er bis 1970er
Jahre. Insgesamt kann man aber festhalten, dass die Aufgabe des kommu-
nalen Bauwerkes (imho) nicht so schlecht gelöst wurde.
Betonbrutalismus kommt von
Béton Brut (=roher Beton) und besitzt in so
mancher Architektur die Tendenz der Fortsetzung des Futurismo, wenn wir
da z.B. an Antonio Sant’Elia denken (La Citta Nuovà, Hochhaus, Zentral-
bahnhof.
Kommen wir zurück zu dem doch wohl begnadetsten Werken der Architektur-
schöpfung in Ingolstadt. Man beachte den kühn in die Tiefe des Raumes und
die Frequentanten gekonnt über und in die Tiefen des Platzraumes führenden
Schwung des Bordsteins, der so wirkungsvoll von Raffinesse des wohlplatzier-
ten Schachtdeckels akzentuiert wird.
Nicht ohne Subtilität ist auch die gelungene Gegenüberstellung der Fichte mit
dem kleinen Warnkegel, die Objekte sind in Bezug auf den schon gewürdigten
Schachtdeckel konsequent angeordnet und eröffnen ein liebevolles Spiel der
Proportion, ja geradezu ein Versinnbildlichung der Machtverhältnisse in Auf-
nahme der Realität, eine gelungene temporäre Rauminstallation.
Kommen wir nun zu den wesentlichen Gestaltungselementen der Raumkulisse
den Bauwerken.
Das schwebende Ecke der Sparkasse symbolisiert gleichfalls in raffinierter
Weise die Last, der sich ein Bankkunde unterwirft, wenn er den Tempel des
Mammon betritt. Allein die Ingenieurleistung bewahrt in von dem Erschlagen-
werden durch die Masse der (optisch) darüber schwebenden Last.
Abhilfe könnte hier durch die Laserprojektion des Sparers bzw. Bankkunden
der Woche sein, die dann einem Atlanten oder einer Kore (siehe Korenhalle)
gleich die Last trägt bzw. schultert.
Subtil auch der Charme der Sterne, die einen jahreszeitbezogenen Akzent in
Form eines Wiedererkennungsmerkmales setzen.
Zum Bauwerk mit der so einladenden Fassade und dem Baukörpers selbst.
Anmutig leicht schwebt das Bauwerk auf den Pfeilern über der in Tiefe gezoge-
nen Fläche des Vorplatzes. Die Vertikalen der Sonnenschutzlamellen bereichern
die Individualität der Fassade, man beachte hiebei die subtilen Unterschiede
der Eckgestaltung.
Nicht zuletzt sollte auch der kühne Bogen des Entrees gewürdigt werden und
die gekonnte Anordnung des den Platz belebenden Cafés, das wohl so man-
chem auch die eventuell behördlich auferlegte Wartezeiten der Antragstellung
etc. zu verkürzen hilft.
Es gibt übrigens in Wien ein in der Schöpfungstiefe ähnliches Bauwerk, das
Finanzamt in der Nußdorferstraße, dass es mit dem ingolstädter Rathaus
durchaus aufnehmen kann, auch wenn es in Bezug auf Größe und Raffine-
ment dieses noch zu toppen vermag.
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Für alle, die sich für das Thema Macht und deren Symbolisierung in der Archi-
tektur interessieren noch einige kleine Hinweise:
Bedeutung und Stellung des Hauses der Direktoren der
Saline von Arc-et Senans
der königlichen Saline bei Besancon, insbesondere wäre hier die runde Öffnung
im Giebel, der den Portikus himmelwärts abschließt, anzuführen, die das Auge
des allesüberwachenden Direktors symbolisiert.
Nicht zuletzt ist auch eine
Demonstration der Allerhöchsten Macht, in diesem
Fall des Königs bei einem Gefängnis fällig anzuführen.
Bagne de Brest, ein Gefängnis in Form eines reduzierten Palastes, eines ~254m
langen Bauwerks (im Link findet sich übrigens ein sehr alter Photo).
Mit diesem Wissen im Hintergrund sollte man sich nun der auch als stupend
einfallslos zu bezeichnenden Architekturschöpfung nähern.
Es handelt sich bei dem gezeigten Bauwerk um ein spätes Bauwerk einer
architecture parlante (sprechenden Architektur), die in reduziertem
Vokabular keinen gesellschaftlichen Fortschritt der Rezeption offenbart.
Im Vergleich war dazu war Erichs Lampenladen, z.B. die Westfront in gleicher
Schrägansicht ja direkt eine Offenbarung.
Wir sollten nicht vergessen, ist
Architektur stets auch ein Spiegelbild der
Gesellschaft und ihres Zustandes.
Es ist ein
Bestandteil der Ingenieurethik und wäre auch
Aufgabe Architekten-
verantwortung sich dieses Umstandes in Bezug auf die Schöpfungstiefe be-
wusst zu sein. In diesem Sinn ist das Ausbleiben einer derartigen Vertiefung
im Zug der "Architekturtherorie" kritisch anzumerken, da es an der Implemen-
tierung und praktischen Umsetzung mangelt.
abacus
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Anbei noch einige Links zum Thema, es finden sich sicher auch noch andere.
Pforzheim:
http://www.you-are-here.com/europe/prenzel.jpg
Antonio Sant'Elia - La Citta Nuovà:
http://www.google.at/images?hl=de&b...q=antonio sant'elia La Città Nuova&tbs=isch:1
Ingolstadt:
http://de.academic.ru/pictures/dewiki/78/Neues_Rathaus_Ingolstadt.JPG
Königliche Saline in Arc-et-Senans
http://de.wikipedia.org/wiki/Königliche_Saline_in_Arc-et-Senans
Bagne de Brest
http://fr.wikipedia.org/wiki/Bagne_de_Brest
[edit] Hervorhebungen .... und hoffentlich auch alle Tippfehler bereinigt ....