Das aufgenommene Foto entspricht bei Normalbrennweite einfach dem, was man mit den eigenen Augen, bevor man den Auslöser betätigt hat, gesehen hat. Oftmals wirken Bilder welche mit Normalbrennweite erstellt wurden natürlicher.
Man kann unterscheiden nach Bildausschnitt und Perspektive. Dein Standort bestimmt die Perspektive; die Brennweite bestimmt den Bildausschnitt.
Richtig ist, dass die Normalbrennweite (ganz grob) den Bildausschnitt zeigt, den das menschliche Auge wahrnimmt; etwa anhand von Fotos von größeren Räumen oder Plätzen kann man, wenn sie mit Normalbrennweite gemacht wurden, die Größenverhältnisse gut einschätzen. (Mit Weitwinkel wirken Räume größer, mit Tele wirken sie gestaucht.)
Aber nur durch den richtigen Bildausschnitt wird es nicht automatisch natürlich, wenn die Perspektive nicht ebenfalls natürlich ist. Das wirkt sich besonders dann aus, wenn wir uns auf einzelne Objekte konzentrieren und nicht mehr den ganzen Raum zeigen.
Als natürlich empfindet man eher Fotos aus einer natürlichen Perspektive. Zum Beispiel wenn wir einer Person im wahren Leben gegenüberstehen, dann vielleicht in eineinhalb bis drei Metern Entfernung. Daher wirken Aufnahmen von Menschen aus dieser Entfernung auch recht natürlich; würde man wesentlich näher rangehen, hätte man eine ungewohnte Verzerrung.
Wenn man aus "normaler Betrachtungsentfernung" nur den Oberkörper oder nur Kopf und Schultern zeigen will, braucht man eine etwas längere Brennweite; das entspricht durchaus noch einem natürlichen Sehen, denn wir blenden oft unbewusst Teile aus, die uns gerade nicht interessieren. Umgekehrt (d. h. in Richtung Weitwinkel) funktioniert es nicht ganz so gut, weil wir unseren Blick zwar einschränken, aber nicht erweitern können (höchstens die Augen drehen und herumschauen).
Somit kommt für eine natürliche Wirkung manchmal eine Normalbrennweite in Frage, manchmal ein leichtes bis mittleres Tele - ganz abhängig vom Motiv. Die Normalbrennweite kann durchaus auch etwas knapper als 50 mm KB sein, z. B. würde man 40 mm KB immer noch als normal empfinden (unser natürlicher Sehwinkel ist ohnehin kein exaktes Rechteck im Format 3:2, sondern sehr weich begrenzt und somit verschieden interpretierbar).
Leichte Teles entsprechen häufig dem selektiven Blick z. B. wenn ein Herr in den Ausschnitt einer Dame starrt und den Rest ignoriert (das macht er dann ja auch aus gewisser Distanz und nicht aus 30 cm Entfernung).
Starke Weitwinkel und starke Teles verzerren die Realität - was auch nicht per se schlecht oder falsch ist, aber dann eben nicht mehr unter "natürlich" läuft. Problematisch sind zum Beispiel starke Weitwinkel-Aufnahmen von Immobilien und Hotelzimmern; da bekommt man einen ganz falschen Eindruck von der Größe der Räume. Mit starken Tele-Wirkungen werden gern mal Dörfer näher an die Alpen gerückt (bevorzugt bei klarem Wetter). Wenn der Tourist dann angereist ist, ist er schnell enttäuscht, wenn er merkt, dass er noch 100 km bis zur Talstation der Bergbahn fahren muss.
Oder anders gesagt...oftmals knipst man Bilder und ist später am Bildschirm enttäuscht über das Ergebnis, weil das Bild nicht das wiedergibt, was man vor Ort gesehen hat.
Das kann auch viele andere Gründe haben.
Ganz generell ist es in der Fotografie oft so, dass man einige Kunstgriffe anwenden muss, damit Betrachter ein Bilder hinterher als natürlich empfinden. Das Thema Bildausschnitt/Brennweite ist dabei nur eines von vielen.