Was nutzt ihr für Objektive an einer Nikon für Portraits?
Man kommt da manchmal in der Praxis zu überraschenden Erkenntnissen. In meiner letzten größeren Studiosession habe ich diverse Sachen durchprobiert, darunter mein 24-85er Zoom, zwei 85er Festbrennweiten und ein 100/2,8 Macro. Am Ende bin ich aber beim AF-S 70-300/4-5,6G VR gelandet und habe damit 90 % der Bilder gemacht.
Zunächst mal habe ich festgestellt, dass Festbrennweiten für meine Art von Studiofotografie eher hinderlich sind, weil ich keinen riesigen Studioraum habe und überwiegend von einem festen Bereich aus fotografieren muss.
Ich bevorzuge auch die klassischen Studioblenden und sehe keinen Sinn darin, im Studio (d. h. ohne unruhigen Hintergrund) mit knapper Schärfentiefe zu arbeiten. Früher hätte ich wohl Blende 16 benutzt, heute in Rücksicht auf die Beugungsunschärfe meist Blende 11. Wenn ich einen superhoch auflösenden Sensor nebst zuverlässigem Augen-Autofokus hätte, würde ich vielleicht noch auf Blende 8 öffnen, aber sicher nicht offener. In Sachen Offenblende wäre eine Festbrennweite für mich also kein Vorteil - und in Sachen Flexibilität weiß ich ein Zoom zu schätzen.
Ein weiterer Punkt ist die Länge der Brennweiten. Ich mag es nicht, wenn ich den fotografierten Personen zu nah auf den Pelz rücken muss. Deswegen bin ich relativ schnell vom 24-85er Zoom weggekommen, das mir für Kopfporträts am oberen Ende zu kurz war.
Was ich auch hilfreich fand, war der Bildstabilisator. Zwar ist im Studio mit Blitz die Verwacklungsgefahr nicht gegeben (meine Blitze haben recht kurze Leuchtdauern), aber schon allein das stabilisierte Sucherbild macht die Arbeit leichter.
Übrigens hat das AF-S 70-300/4,5-5,6G VR gerade im unteren Bereich (ca. von 70 bis 135 mm) eine ausgezeichnete Bildqualität und recht wenig Verzeichnung. Ich glaube nicht, dass man hier mit einer Festbrennweite irgendwas sichtbar verbessern könnte. Wenn solche Zooms Schwächen haben, dann häufig im oberen Brennweitenbereich - der im Studio sowieso zu lang ist.
Für Porträts im Freien würde ich vielleicht auch mal offenblendiger arbeiten - und dann natürlich auch auf lichtstärkere Festbrennweiten zurückgreifen. Wobei ich im Direktvergleich gemerkt habe, dass das AF-S 70-300/4,5-5,6G VR ein schöneres Bokeh produziert als z. B. das Nikon AF 1,8/85. Natürlich kriegt man mit Blende 1,8 bei 85 mm mehr Unschärfe als mit Blende 4 bei 70 mm, aber die Charakteristik der unscharfen Bereiche ist am Zoom dafür schöner und nicht so unruhig (auch wenn man die Festbrennweite zum Vergleich auf 4 abblendet). Wenn man eine 85er Festbrennweite mit wirklich angenehmen Bokeh möchte, müsste man wohl die 1,4er Version von Nikon oder Sigma Art nehmen (unabhängig davon, ob man sie ganz offen verwenden will).
Solange genug Platz da ist, würde ich aber im Freien lieber eine längere Brennweite und dafür keine ganz so offene Blende benutzen (135 bis 200 mm bei Blende 2,8 bis 5,6). Damit kriegt man einen schön unscharfen Hintergrund, aber ohne den Nachteil, dass die Schärfe bei Kopfporträts schon zwischen Augen und Nasenspitze deutlich abfällt.
Das soll jetzt aber kein Plädoyer speziell für das AF-S 70-300/4,5-5,6G VR sein. Ich selber besitze es übrigens gar nicht mehr, weil ich inzwischen auf das AF-P 70-300/4,5-5,6E umgestiegen bin (zu dem ich noch nicht so viele Erfahrungen beisteuern kann). Mein Punkt ist: Es muss nicht immer die "naheliegende" Objektivwahl sein. Manchmal schlummern in der Fototasche noch ungeahnte Schätze, an die man für den aufgerufenen Zweck erst mal nicht denkt. Im Zweifelsfall einfach mal alles an Objektiven, was man schon hat und was irgendwie in Frage kommt, ausprobieren!