Jetzt hole ich mal diesen Uralt-Gesprächsfaden wieder hoch, durch Corona hat man viel Zeit... Vielleicht gibt es ja da draußen noch ein paar Verrückte wie mich, bei denen Hobby und Beruf in Sachen Fotografie seit vielen Jahren verschmelzen. Beim Aufräumen fiel mir meine etwas verstaubte N1 in die Finger, die sich mithilfe eines nur halbtoten 2CR5-Lithium-Blocks problemlos reaktivieren ließ. Was in der Diskussion vor fünf Jahren niemand so explizit schrieb: Der Autofokus des N-Systems war beziehungsweise ist nach heutigen Maßstäben so lächerlich langsam, dass er seinerzeit wohl bestenfalls als Krücke für Leute dienen konnte, die routinemäßig manuell scharfstellten, aber eine Hilfe für problematische Lichtsituationen suchten - eben die klassischen Umsteiger vom Contax/Yashica-System. Nur dass der AF mit schlechtem Licht ähnlich überfordert war wie das Sehvermögen der Contax-N-Besitzer.
Vergleiche ich meine in etwa der gleichen Zeit am Markt befindliche EOS 1D (Mark I) mit der N Digital, dann wurde das Gefälle noch größer. Professionell nutzbare DSLR gegen ein fehlkonstruiertes Reiche-Leute-Spielzeug.
Und trotzdem mag ich die N Digital. Manchmal frage ich mich, ob wir heute ein Spiegellos-System von Contax hätten, wenn Kyocera nicht aufgegeben hätte. Das kleine G-System wäre nicht die schlechteste Basis gewesen.
Was heute noch einigermaßen mithalten kann, ist die Contax 645 als große und vor allem abwärtskompatible Schwester des N-Systems. Nicht aus Versehen gibt es für diese Maschine nach wie vor Digitalrückteile, sogar mit modernen 100-Mpix-Sensoren zu zugegeben kaum erschwinglichen Preisen.
Als Hobbykamera tun es die Contaxen jedenfalls nach wie vor. Vor kurzem habe ich mir bei einem Hersteller namens "Silbersalz35" ein paar Tungsten-Filme bestellt - und die werde ich in die Contax N1 stecken, deren (im Gegensatz zum Digital-Gegenstück) zuverlässige Technik mir im Verein mit den Zeiss-Optiken gewiss ein paar außergewöhnliche, digital wohl nur mit einigem Aufwand "nachbaubare" Bilder bescheren wird.
Dass die N Digital ihre Raw-Bilder auf dem hinteren Bildschirm nie abbilden konnte, ist kein allzu großer Beinbruch, denn der Mini-Screen hatte sowieso einen gruseligen Farbstich und war für eine vernünftige Beurteilung viel zu klein. Man arbeitet letztlich wie mit einer Analog-Kamera, nur mit ein paar mehr möglichen Aufnahmen, wenn man eine etwas größere CF-Karte benutzt. Zu volumig darf die allerdings auch nicht sein, weil das DOS der Kamera sie sonst nicht lesen beziehungsweise beschreiben kann. Wie geschrieben: ein Spielzeug für Leute mit zuviel Geld, die seinerzeit die vermeintliche Digital-Avantgarde haben wollten.
Es hält sich übrigens sehr hartnäckig das Gerücht, dass Contax seinerzeit allen schon verkauften Exemplare der N digital zurückrief und dann vernichten ließ. Von daher ist die Kiste heute ein Weißer Elefant der Kamerageschichte - meine würde ich trotz ihrer Macken nicht mehr hergeben.
Gruß vom Hans
P. S. Der Sechs-Megapixel-Sensor der N Digital und der Pentax MZ-D wäre bei beiden Kameras von Philips gekommen, nur dass die Pentax-Leute ihn bis auf 1600 ISO hinaufgetrieben hätten. Die 400 ISO der N Digital waren das herbeste Limit der Kamera, zumal man guten Gewissens nur bis 100 ISO gehen kann, ehe das Rauschen tödlich wird...