Kannst du irgendwelche Gesetzestexte dazu aufzeigen? Ich könnte mir ehr vorstellen das sowas einfach verbreitet wird, aber nicht auf irgendeiner rechtlichen Basis geschieht.
Ja, kann ich, ist aber etwas komplizierter und dauert etwas länger. Gilt wiederrum nur für Bayern. Und du musst dazu leider einen großen Ausflug ins bayerische Polizeirecht mitmachen. Was jetzt kommt, ist groß vereinfacht, falls hier also ein weiterer Kundiger mitlesen sollte, bitte nicht alles auf die Goldwaage legen.
A.
Grundannahme ist Folgende: Das Ganze muss sich um sog. Gefahrenabwehr handeln, d.h. eine präventive Tätigkeit sein. Das Ganze ist abzugrenzen zur Strafverfolgung. Meistens ist die Abgrenzung schwierig, weil von beidem etwas dabei ist. Das ist die sog. polizeirechtliche Gemengelage. Hier beurteilt es sich nach dem Schwerpunkt des polizeilichen Handelns. In der Regel würde ich in einer Situation, in der Polizist eine Kamera kontrollieren will, davon ausgehen, dass er das tut, um zu verhindern, dass Straftaten begangen werden, nicht um zu ermitteln. Davon gehe ich bei meinen weiteren Ausführungen aus.
B.
I.
Dann ist das PAG - Polizeiaufgabengesetz einschlägig.
(Link) Das System funktioniert (vereinfacht) so: Der Polizist erlässt eine Verfügung (d.h. sog. einen Verwaltungsakt (VA) i.S.v. Art. 35 BayVwVfG, Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz). Das wäre der Satz "geben Sie die Kamera mal her". Angenommen, du tust das nicht, kann diese Maßnahme mit Vollstreckungsmitteln durchgesetzt werden.
II.
Die Vollstreckung von PolizeiVA richtet sich nach den Art. 53ff BayPAG. In Art. 53 I PAG heißt es:
Art. 53
Zulässigkeit des Verwaltungszwangs
(1) Der Verwaltungsakt der Polizei, der auf die Vornahme einer Handlung oder auf Duldung oder Unterlassung gerichtet ist, kann mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, wenn er unanfechtbar ist oder wenn ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat.
(2) Der Verwaltungszwang kann ohne vorausgehenden Verwaltungsakt angewendet werden, wenn das zur Abwehr einer Gefahr notwendig ist, insbesondere weil Maßnahmen gegen Personen nach den Art. 7 bis 10 nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen, und die Polizei hierbei innerhalb ihrer Befugnisse handelt.
III.
Worum es dir insbesondere geht, war, wenn ich das richtig verstanden habe, der Punkt, dass die Polizei ihren Verwaltungsakt vollstrecken kann, auch wenn dieser rechtswidrig ist. Das ergibt sich aus ARt. 53 I PAG im Vergleich mit Abs. II. In Abs. II (der hier nicht einschlägig ist) heißt es "...und die Polizei innerhalb ihrer Befugnisse handelt". Hier ist eine Rechtmäßigkeitsprüfung nötig. Da dieser Halbsatz in Abs. I nicht steht, wird daraus geschlossen, dass das dort genau nicht nötig ist. Das wäre auch sinnvoll, weil sonst eine Vollstreckung (z.B. auch ein Schußwaffengebrauch zur Rettung einer Geisel) praktisch unmöglich wäre, da es unmöglich ist, an Ort und Stelle mit Sicherheit zu sagen, ob alles rechtmäßig ist.
Das Ganze nennt sich "Konnexität" - es ist die herrschende Meinung in der Rechtswissenschaft und Rechtsprechung, dass diese Konnexität nicht nötig ist.
IV.
So, dann ein weiterere Voraussetzung: In Art. 53 I heißt es "wenn er unanfechtbar oder ein Rechtsmittel keine aufschiebende WIrkung hat." Die erste Alternative ist nicht einschlägig, ein VA ist erst nach einem Monat unanfechtbar. Hier geht es um die Aufschiebende Wirkung, es hilft uns ein Blick in die VwGO (Verwaltungsgerichtsordnung,
Link). Dort heißt es in § 80 I und II:
§80 VwGO
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
1. bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2. bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3. in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
4. in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Nach §80 I VwGO ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels der Standardfall. Nach Abs. II Nr. 2 ergibt sich aber, dass Klagen gegen Maßnahmen der Polizei im Vollzugsdienst keine aufschiebende Wirkung haben.
Damit sind die Voraussetzungen des Art. 53 I BayPAG gegeben (zumindest die, auf die es hier ankommt).
V.
Da hier Zwangsgeld und Ersatzvornahme als Zwangsmittel ausscheiden, richtet sich das Weitere nach den Vorschriften über den unmittelbaren Zwang, Art. 58, 60ff BayPAG. Dabei ist unter anderem die Verhältnismäßigkeit der Zwangsanwendung zu beachten. Er wird dich also, soweit du jetzt nicht völlig ausrastest, nicht mit dem Knüppel niederschlagen können.
VI.
Denkbar wäre, dass der Verwaltungsakt nichtig wäre. Dies würde sich nach Art. 44 BayVwVfG (Verwaltungsverfahrensgesetz -
Link Rechtswidrigkeit reicht dafür allerdings nicht aus. Das jetzt hier zu erörtern wrüde zu weit führen, ich kann dir aber versichern, dass das in der Praxis nicht vorkommt.
VII.
Denkbar wäre auch, dass der VA gar nicht existent geworden ist, weil er nicht richtig bekanntgegeben wurde. Das ist aber nur der Fall, wenn der Polizist nicht als solcher erkennbar ist, nach Art. 6 PAG existiert eine Ausweispflicht, d.h wenn sich der Polizist ausweisen kann, reicht das aus.
C.
So, um das ganze jetzt nochmals zusammenzufassen: Der Maßnahme eines Polizisten ist in der Regel Folge zu leisten. Dass dem nicht so ist, ist ein weitverbreiterer Irrglaube. Genau aus diesem Grund kann die Polizei bei Demos Wasserwerfer einsetzen, wenn einem Platzverweis nicht nachgekommen wird. Was an Rechtsschutz bleibt, ist eine (Fortsetzungs)feststellungsklage um die Rechtswidrigkeit festzustellen und/oder ein Amtshaftungsprozess.
So, ich hoffe, dass das klar geworden ist, eine Stunde an diesem Post gesessen und mal was für die Gesellschaft getan
LG,
Chris