f:11: Schöner Effekt mit der Schärfe. Ist die Erklärung ernst oder ironisch gemeint?
Ich zitiere mal jemand anderen:
Zoltán Jókay schrieb:
„Stets muss die Fotografie auf das verweisen, was nicht zu sehen ist. Und sie darf nicht alles zeigen, was zu fotografieren ist. Denn sonst würde hinter dem Offensichtlichen das Eigentliche verloren gehen.“
Zoltán Jókay, 2012
in diesem Kontext: wie würdest du nun deine Frage beantworten?
Coriolanus: Tja, was ist eigentlich Kunst? Und wie erkenne ich "Kunst"? Der Begriff der "Kunst" ist ja historisch eher ein junger. Zu Zeiten Rembrandts und Mozarts gabs keine Künstler, nur Handwerker.
Vielleicht ist der Kunstbegriff eng mit der Industrialisierung verknüpft? Wenn vor der Industrialisierung alles, was erzeugt wurde, in Handarbeit individuell gefertigt werden musste, bedurfte es keine weiteren Differenzierung -- wo mensch Hand anlegt, passiert Kreatives mehr oder weniger nebenbei.
Womit wie wieder beim Ausgangsthema wären: Wir als Fotohandwerker beachten die Regeln und machen mehr oder weniger gute Fotos.
Hier gehst du der Industrialisierung selbst auf den Leim. Die Regeln sind von Profis für Profis gemacht und hofieren nur die Gefälligkeit. Legionen von Fotografen wurden auf "Harmonie" als wichtigstes Kriterium der Gestaltung gedrillt und doe Fotobücher strotzen nur so vor Regeln, die Harmonie gewährleisten sollen. Gut für Fotografen, die ihr Zeug mit möglichst wenig Widerstand loswerden wollen/müssen. Als Künstler darf ich mir den Luxus leisten, auf die gefälligen Ansichten zu verzichten (so mein Ego groß genug ist, dass mich nicht die Kommentare von Lieschen Müller nebst Verwandtschaft umhauen).
Kunst ist also die nicht-vor- und massengefertigte Materie, sozusagen das zweite Element (das erste wäre die Natur, das dritte die Serienprodukte der Industrie). Das Erstaunliche daran: das hat der Gesetzgeber einigermaßen begriffen und in das Urheberrecht formuliert. Allerdings -- und wen wundert es? -- ist die Industrie nicht daran interessiert, kleine Künstler zu schützen, sondern ihre Produkte vor der Konkurrenz zu sichern. Was aktuell die Gesetzgebung und Rechtssprechung nachhaltig beeinflusst. Der Künstler wird heute bedroht, wenn er ein mustergeschütztes Industrieprodukt in seiner Kunst verwendet, aber die Implikationen dieser Perversion auszubreiten ist hier nicht angebracht.
Warum finde ich ein Foto gut und ein anderes stinklangweilig?
Warum findest du manche Typen gut und andere stinklangweilig?
Warum findest du manche Autos gut und manche stinklangweilig?
Warum …
Weil du deine Wirklichkeit selbst konstruierst, bis in den letzten Winkel. Radikaler Konstruktivismus als Suchbegriff, von Glasersfeld, von Förster, Watzlawick (in dieser Reihenfolge). Dazu Niklas Luhman, wenn du die ersten verinnerlicht hast
Die Kurzfassung daraus:
Weil du deine Welt gebastelt hast, und weil sich unsere Aufmerksamkeit immer auf das zuerst richtet, was uns die größte Nähe signalisiert, sehen wir immer nur das, was wir sehen wollen/können. Bis gestern habe ich keinen Honda auf der Straße gesehen, seit ich einen habe, wimmelt es nur so von dieser Type.
Und so stimmst du ab, welche Bildinhalte dich "anspringen".
Nun kommt die Ungeduld, zu der wir dressiert werden. Alles, aber flott. Sich mit einem Bild länger als zwei Sekunden auseinandersetzen, es als Kommunikationsmittel des Fotografen begreifen, tiefer zu blicken, als gerade an der sichtbaren (siehe einleitendes Zitat) Oberfläche entlangzuschrammen: das tut man sich doch nicht an, wenn einem das Bild auf den ersten Blick nicht gefällt.
Und wenn man dann doch irgendwie dazu gezwungen wird -- sei es ein Museumsbesuch, eine Kritikecke in einem Fotoforum, oder der berüchtigte Bilderabend bei Bekannten -- kommt Langeweile auf. Mensch will halt nur sehen, was er sehen will und verkneift sich das Erstaunen an Dingen, die nicht ins Beuteschema passen.
Was erkennst du daraus? Dass dir die aufkeimende Langeweile signalisiert, woran du nicht interessiert bist. Das ist wie der Schatten in der Fotografie: wenn du nur Licht siehst und machst, erhältst du ein ziemlich flaches, weißes Bild. Erst wenn du den Schatten bewusst zulässt, dich mit ihm auseinandersetzt, wird das Bild Tiefe und Kontur erhalten. Klingt wie eine oft wiederholte Küchenweisheit, aber es gibt keine andere Lösung für deine Frage. Entweder du bleibst oberflächlich und gibst der Langeweile durch Ignoranz nach, oder du zwingst dich, die Auslöser deiner Langeweile zu erkennen und in deine Arbeit aufzunehmen.
Welche der beiden Varianten du wählst, liegt ganz bei dir: beide sind gleich gut geeignet, das Ziel, eine eigenständige Bildsprache, zu erreichen. Allerdings meine ich, dass die Chancen auf bessere Resultate größer sind, wenn man seine Kunst umfassender pflegt.
So, und weil das ein Bilderthread sein soll, muss ich jetzt wieder was hochladen
Trennungsschmerz
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Die Arbeit entstand 1995-1997. Der Kontaktabzug wurde mit Säure behandelt, wodurch sich die Fotoschicht teilweise gelöst und/oder verfärbt hat.
Dahinter stand die emotionale Reaktion auf das Ende einer Beziehung, wobei die Zeitspanne zwischen der Aufnahme (vor Beginn der Beziehung) und die Zerstörung (nach Ende der Beziehung) einen auch zeitlich weiten Bogen spannt. Da der gemeinsame Weg niemals völlig löschbar ist, scheinen auch die nur teilweise gelösten Schichten der Oberfläche gerechtfertigt -- um unter der Oberfäche genau nichts zu finden.