Da gibt es kein Dogma, es kommt wesentlich darauf an, was der Fotograf ausdrücken will. Soll es irgendwie "komisch" wirken, kann man für Portraits ein extremes Weitwinkel verwenden und damit nah rangehen. Das gibt dann hübsche Verzerrungen, gewaltige Nasenzinken und windschlüpfrige Eierköpfe. Ein Supertele ergibt dagegen verzerrungsfreie, aber flache Portraits - langweilig halt.
Will man ein gutes, seriös aber lebendig wirkendes, "klassisches" Portrait, wählt man auch eine "klassische" Portrait-Brennweite im leichten Telebereich. Auf das Kleinbildformat bezogen wären das so zwischen 70 und 100 mm. Die sogenannte Normalbrennweite um die 50 mm ist aber auch schon portraittauglich, gerade bei Crop-Kameras. Man muss halt viel ausprobieren, um sein Lieblingsportrait-Objektiv zu finden, das am besten zum eigenen Stil passt.
Bei anderen Motiven geben die äußeren Umstände die geeignete Brennweite vor, besonders dann, wenn der Fotograf sich den idealen Abstand zum Motiv nicht erlaufen kann. Im Wildlife-Bereich geht's kaum ohne dickes Tele, bei Städtebildern, Architektur usw. ist ein Weitwinkel fast unumgänglich. Man kann aber auch interessante Bildwirkungen erzielen, wenn man bewusst eine "ungeeignete" Brennweite verwendet. Mir ist vor vielen Jahren zum Beginn einer Reise das Weitwinkel-Zoom auf den Boden geknallt und war danach nicht mehr zu fokussieren. Reparatur oder Ersatzbeschaffung war abseits der Zivilisation auch nicht möglich - also habe ich damals notgedrungen alle Fotos entweder mit einer 50 mm Festbrennweite, überwiegend aber mit einem 70-210 mm Telezoom gemacht - jedenfalls war ich für mehrere Wochen absolut weitwinkelfrei. Gerade bei Landschaft fand ich die Ergebnisse interessanter als sonst üblich, weil die Umstände mich zu Sehweisen abseits der Routine gezwungen haben. Seitdem verstehe ich auch den Spruch von Andreas Feininger besser und kann ihn nur unterstreichen: "Auf den meisten Bildern ist zu viel drauf!".
Gruß
Pixelsammler