Es war schon zu Vor-Internet-Zeiten so, dass z. B. Color Foto ganz andere Reihenfolgen in den Bestenlisten hatte als Fotomagazin. Das galt für Kamera- und auch Objektivtests. Teilweise behaupteten sie das glatte Gegenteil voneinander. Und schon damals wurde immer der Verdacht geäußert, die eine oder andere Redaktion sei "gekauft", weil sie scheinbar eine bestimmte Marke bevorzugt.
Wir sind alle in der Schule darauf getrimmt worden, dass alles immer eindeutig zu benoten sei. Aber das haut eben oft nicht hin. Die Schüler mit den besten Noten sind oft nicht die, die später im Leben am meisten beruflichen Erfolg haben. Wer immer brav seine Vokabeln lernt und fehlerfrei aufsagen kann, kriegt dafür eine Eins, aber ist hinterher nicht unbedingt der, der die Spache besonders flüssig sprechen kann. Und eine Kamera mit den besten Noten kann, je nach Bedarf, auch ziemlich unbrauchbar erscheinen.
Im Fall von Kameras gibt es tausende Variationsmöglichkeiten, wie man bewertet. Das fängt schon damit an, dass manche Tester nur die JPEG-Ausgabe bewerten, andere nur Rohdaten. Auch sowas wie Rauschen kann man längst nicht so eindeutig messen wie man denken möchte. Und selbst wenn man dank einer Norm für alles ganz klare Messwerte hätte, bliebe immer die Frage, wie man hinterher die ganzen Zahlen miteinander verrechnet und gewichtet, um eine "Gesamtnote" rauszubekommen.
Man darf ja nicht vergessen, wie unterschiedlich die Bedürfnisse sind: Manche Fotografen wollen eine Kamera, die wirklich alles automatisch macht (bis hin zur Wahl des Fokusbereichs) und möglichst gute JPEGs auswirft; da steht dann die Zuverlässigkeit der Automatiken im Vordergrund – die für einen Foto-Profi relativ zweirangig ist. Manche wollen lieber alles selber einstellen und brauchen eine Kamera mit vielen direkten Bedienelementen (mit denen die vorher genannte Gruppe überhaupt nichts anzufangen weiß). Und das geht weiter mit der Bildqualität: Wenn ein Tester z. B. grundsätzlich nur JPEGs in Werkseinstellung der Kamera bewertet, fließen all die schönen Bildlooks und Abstimm-Optionen, die das Menü bietet, gar nicht ins Ergebnis ein (geschweige denn die Rohformat-Reserven, die für viele fortgeschrittene Anwender so wichtig sind).
Bleibt die Frage, ob wirklich manche Redaktionen von Herstellern bestochen werden – direkt oder zumindest indirekt über das Werbegeschäft. Wenn man in derselben Zeitschrift oder Webseite außer dem Test auch einschlägige Werbung von Kameraherstellern sieht, drängt sich der Verdacht natürlich auf. Ich persönlich glaube trotzdem, dass die Mehrzahl der Macher nicht so arbeitet. Es sind eher die persönlichen Vorlieben und die allgemeinen kommerziellen Zwänge, also der Bedarf nach Klickzahlen, die zu fragwürdigen Schlussfolgerungen führen. Eine weitere Gefahr besteht darin, dass kleine, nicht praxisrelevante Unterschiede zu großen, kaufentscheidenden Kriterien aufgebauscht werden. In einem Testfeld, in dem z. B. fünf Kameras verglichen werden, die alle recht gut sind und sich in Detailaspekten unterscheiden, will am Ende dennoch ein "Gesamtsieger" gekürt werden. Das diktieren die Gesetze des Marktes. Denn die Headline "Cany FX3 schlägt Nikax GT5 um 12 Punkte!" verkauft sich nun mal besser als die Headline "Fünf gute Kameras, sucht euch eine aus".
Also sollte man "Testergebnisse" (besonders die Gesamtnoten) generell nicht ernst nehmen. Tests können unterhaltsam sein und gelegentlich auch interessante Details enthalten, die man sich als Leser dann merken kann. Aber sämtliche Bestenlisten sind – rein prinzipbedingt – mindestens extrem subjektiv, aber meistens doch nur großer Blödsinn.
Letztlich können wir dankbar sein, dass es heute viele verschiedene Test-Redaktionen gibt. Denn gäbe es nur eine einzige etablierte Quelle, die unwidersprochen ihre Ergebnisse raushauen kann, würden noch viel mehr Leute ihr Glauben schenken.