AW: Alter Mann
... vielen Dank für die Kritik und fürs Lob

...
Wenn hier schon nicht viel gemeckert wird, dann will ich die Gelegenheit ergreifen, eine Standardbemerkung loszuwerden: Kritik kann sowohl negativ, als auch positiv sein. Lob ist also ein Bestandteil von Kritik.
Jetzt aber zum Bild: Da gibt es nichts zu meckern, trotzdem bekommst Du meine
Kritik.

Zuerst einmal allgemein: Ein
sehr gelunges Foto, dass in Bezug auf die Bildaufteilung einen Weg jenseits der Lehrmeinung geht -- aber
gerade deshalb eine besondere Wirkung erzielt. Warum ich das so sehe, will ich versuchen zu begründen:
Das Motiv in den Mittelpunkt zu stellen führt in den meisten Fällen zu Langeweile. Hier ist das anders, denn das Beiwerk (Bänke, Bäume) wurde gut genutzt und verstärkend eingesetzt. Die leere Bank unterstreicht die von der Person ausgehende Stimmung. Details wie die Risse im Holz der Lehne oder die völlig schief stehende (und von der abgebildeten Person als Sitzgelegenheit ausgewählte!) Bank unterstreichen das etwas düstere Ambiente.
Der vordere Baum wurde in diesem Thread ein oder zweimal als störend moniert. Ich halte das für falsch. Er spielt eine
viel zu wichtige Rolle in diesem Bild, als dass er fehlen dürfte: Zusammen mit den beiden anderen Bäumen verleiht er diesem Bild die Tiefe, ohne die es nur halb so gut wirken könnte. Diese vordere, unscharfe Ebene fehlte ohne diesen vorderen Baum -- nur der leichte Unschärfeverlauf auf den Standpunkt des Fotografen hin wäre nicht ansatzweise ein Ersatz für ihn.
Desweiteren fällt den Bäumen eine zusätzliche Aufgabe zu: Sie sind die dominanten Senkrechten, die dem Bild eine Menge an Stabilität verleihen. Zusammen mit dem Stock des Mannes und seinem nach unten gerichteten Blick ergeben sie eine
geerdete Komponente, die einen Grossteil der Wirkung des Fotos ausmacht.
Die Situation des Betrachters (= des Fotografen) wird zudem durch den vorderen Baum gut vermittelt, denn es entsteht der Eindruck des Beobachtens
aus einer sicheren Position heraus. Wir lernen also beim Betrachten etwas über die Situation zwischen dem Fotografen und seinem Motiv -- und ahnen, dass es sich um ein authentisches Foto handeln dürfte. Das ist schlicht
sehr gut umgesetzt. Alles in allem: Ohne den vorderen Baum hätte das Bild nicht diese Klasse.
Die Diagonale der Bänke bringt dagegen ein Spannungselement in das Bild, das den Senkrechten gut entgegenwirkt -- und aus gestalterischer Sicht mögliche Langeweile beim Betrachten verhindert.
Letztlich noch zwei kleine Punkte, die besser sein bzw. verbessert werden könnten: Der hintere Baum "sitzt" sehr nahe am vorderen. Ein wenig mehr Abstand, und die Komposition wäre
noch besser. Ich erkenne natürlich, dass das zu den absoluten Feinheiten gehört, die vermutlich fast jeder Fotograf (um allen Krawallos hier im Forum den Wind aus den Segeln zu nehmen: ich schliesse mich ein) übersehen hätte -- bei diesem Motiv und vermutlich nur einem kurzen Moment, in dem das Bild gemacht werden konnte.
Der zweite Punkt ist -- im Gegensatz zum ersten -- allerdings auch noch nachträglich zu korrigieren: Ganz links unten (links unterhalb der Bank) liegt ein Schleier über dem Bild. Irgend etwas hat dort vermutlich im Weg gestanden. Für den Fünf-Sekunden-Betrachter ist das belanglos, wenn man sich aber etwas intensiver mit dem Bild beschäftigt, dann fällt das auf.
Was mich freut: Ein Foto, das mit den gängigen Regeln (die vielen hier im Forum offensichtlich noch nicht einmal
bekannt sind, wenn sie stolz Hundchen und Blümchen präsentieren) bricht (hoffentlich bewusst) -- und gerade deswegen eine wunderbare Wirkung hat.
Es ist zwar bereits das zweite Mal in knapp zwei Tagen, dass ich das in diesem Forum schreibe, aber der Gebrauch ist im Vergleich zur Anzahl der von mir hier im Forum betrachteten Fotos immer noch nicht inflationär:
Chapeau!
-Frank