Die Frage, welche Farben aus der Realitität die Kamera aufnehmen kann, ist völlig getrennt zu betrachten von der Frage, welche Farben in der resultierenden Datei drin stecken. Denn in der allgemeinen Fotografie ist die subjektive Wirkung des Bildes viel wichtiger als die absolute Exaktheit der Abbildung - weshalb die Hersteller auch gar nicht erst behaupten, die Farbrealität 1:1 abzubilden. Sonst müßte es ja mindestens eine Einstellung an jeder Kamera geben, in der sie "exakt gemäß Farbraum" aufnimmt; gibt es aber bei keinem mir bekannten Modell. Stattdessen kann man sogar per Menü die Farben auf vielfältige Weise beeinflussen. Z. B. wenn man die Farbsättigung in der Kamera (oder im RAW-Konverter) höher einstellt, wird auch der genutzte Farbraum größer. Das geht sogar nachträglich: Konvertiert man eine Datei z. B. von sRGB nach ProPhotoRGB und dreht dann kräftig am Farbregler, werden ebenfalls Farben entstehen, die im sRGB-Original nicht drin waren. Schon aus dieser Überlegung heraus ist die Behauptung Unsinn, die Nutzbarkeit größerer Farbräume sei vom Kameramodell abhängig.
Überspitzt gesagt: Wenn man an der Kamera einen Farbraum einstellt, ist das zunächst nicht mehr als ein Vorschlag für die Farbwiedergabe, also eine mehr oder minder willkürliche Definition der Farben, damit man eine Diskussionsgrundlage hat. Denn erst wenn die Kamera konkret sagt "das Bild liegt in sRGB vor" weiß man ja überhaupt, wie man das Bild beim Betrachten interpretieren muß; davon ausgehend kann man dann die Einstellungen nach Geschmack ändern.
Da liegt auch ein für Einsteiger recht verwirrender Widerspruch zwischen Theorie und Praxis des Farbmanagements. In der Theorie sollte auch das Eingabegerät exakt profiliert werden, aber in der Praxis wollen die meisten Fotografen die Farbwiedergabe selber bestimmen. In der Praxis der normalen Alltagsfotografie wird also Farbmanagement erst in der Bearbeitung eingesetzt und noch nicht bei der Aufnahme.
Eine wirklich exakte Reproduktion der Farben aus der Realität im Foto bekommt man erst, wenn man die Kamera kalibriert. Das machen aber gewöhnlich nur Produktfotografen, die diesen bestmöglichen Realismus unbedingt brauchen (z. B. damit das Eichen-Furnier im Katalog genauso aussieht wie in Wirklichkeit). Diese Kamerprofilierung ist aufwendig und unflexibel, weil die Genauigkeit auch von der Lichtquelle abhängt, d. h. eine bei Tageslicht gemachte Profilierung gilt nicht unbedingt für Kunstlicht etc.
Erst in Verbindung mit einer solchen Profilierung ist die Frage nach dem "nativen" Farbraum der Kamera überhaupt sinnvoll zu beantworten, denn erst dann darf man davon ausgehen, daß ein bestimmter von der Kamera erzeugter Farbton tatsächlich so gesehen wurde. Die Farbraumgröße dürfte dann ebenfalls von der eingesetzten Lichtquelle und damit indirekt auch vom Weißabgleich abhängen.
Ich kenne bisher keine Tests, die die eingangsseitige Farbraumgröße gängiger DSLR-Modelle untersucht hätten. Daß es von der Kameraklasse abhängt, glaube ich nicht; meist stecken ja Sensoren in diesen Kameras, die mit denen der größeren Modelle baugleich oder bauähnlich ist.
Vielleicht könnte man sich der Antwort nähern, wenn man als Test ein farblich fein abgestuftes Testbild von einem Adobe-RGB-Monitor abfotografiert und dann die resultierende RAW-Datei darauf untersucht, welche Farbstufen sie im stark gesättigten Bereich noch unterscheiden konnte.
An natürlichen Motiven ist sowas nur schwer auszumachen; z. B. rote Blüten überstrahlen auf Fotos oft - aber nicht unbedingt, weil das Rot außerhalb des Farbraums liegt, sondern weil der Sensor auch auf IR-Licht reagiert, das wir mit bloßem Auge nicht sehen.
Geht man davon aus, daß Kamerasensoren z. T. auch empfindlich für UV- und IR-Licht sind, wird es ohnehin schwer, den "wahren" aufgenommenen Farbraum zu bestimmen. Denn unser im Farbmanagement üblicher Referenzfarbraum CIE-Lab erfaßt ja nur die Farben, die ein menschliches Auge sehen kann.