Hallo Sigi. Ich freu mich erstmal einfach darüber, dass dein Beitrag einen wunderbaren Kontrapunkt zu der üblichen Oberflächlichkeit setzt. Danke schon mal dafür, einfach so.
Du hast recht: Unreflektierte/unbewusste Vorannahmen und gefestigte, meist nicht hinterfragte Wertesysteme verhindern, dass man sich einem Bild in aller Offenheit nähern kann. Diese Schubladisierung ist letztendlich eine Verarmung der Sehfähigkeit und verhindert oftmals die Freude an Kleinigkeiten.
Meine Hauptmotivation hier war: mir gefällt die Szene, ich fand die Farben und Kräfte der Formen schön und spannend. Das reicht mir für ein Foto, losgelöst von Erwartungen des Umfeldes. Oftmals sind es für mich Kombinationen von Farbakkorden, Linien/Vektoren und Flächen/Formen, die ein Bild in seiner Gesamtheit spannend machen. Ich habe zwei Visualisierungen angehängt, die vielleicht etwas von dieser Faszination künden können.
Zuerst die Farben. Ich habe eine vereinfachte Version angehängt, so wird der Farbakkord einfacher erkennbar. Zudem habe ich die 3D-Palette angehängt. Für mich immer wieder spannend zu vergleichen, wie sich Farbakkorde in einem Bild zusammen setzen. Drittens ist eine exaggerierte Farbversion dabei, die einfacher zeigt, was die Grundfarben hier eigentlich sind: Orange, Grün und Blau.
Das vierte Bild im Anhang zeigt dann, wie sich m.E. die Linien und Flächen verhalten. Es gibt einen zentralen Ankerpunkt. Dahin fliessen die Hauptlinien, resp. von da aus gehen sie (je nach Lust der Wahrnehmung). Dann habe ich einen schönen Kontrast der vertikalen, eher starren "Stützelemente", die die Wellenförmigen Linien im oberen Bildbereich stützen und ruhen lassen. So entsteht für mich ein Bild, das den Besucher in alle Bildteile lenkt und von dort wieder zurück bringt, das nirgends langweilig ist aber auch keinen Vorlauten Teil hat, der die anderen zum schweigen bringt.
Die Palette hilft mir unten rechts Energie aufzunehmen, die die eher kühle Atmosphäre ausgleicht. Das Grün-Blau gibt eine magische Tiefe.
So sehe ich das Bild. Vor Ort denke ich nicht in dieser Analytik, aber Zuhause versuche ich oft Bilder so zu verstehen, denn darin liegt die Möglichkeit, das nächste Mal schon vor Ort gewisse kompositorische Aspekte zu berücksichtigen.
Ganz zuvorderst ist und bleibt aber meine Lust am Schauen und meine Freude an den kleinen Wundern des Alltags.
cheers
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