AW: Nova Scotia - Europa in der Nussschale
Closed for season
Von Mai bis Ende Oktober ist Hochbetrieb auf Cape Breton Island und ganz besonders auf dem Cabot Trail. Während des Indian Summer im Spätherbst erlebt die Region einen wahren Besucheransturm. Wenn die Bäume jedoch ihre bunten Farben verlieren und sich in ein braun-grau-grünes Wäldermeer verwandeln, werden hier sprichwörtlich die Bordsteine hochgeklappt: Unterkünfte, Restaurants, Parks und Touristenattraktionen sind nun größtenteils geschlossen und bleiben es bis in den späten Frühling hinein, bis sich die Temperaturen wieder im Plusbereich eingependelt haben, der Schnee weggetaut ist und die Besucher wieder in nennenswerter Anzahl nach Cape Breton Island kommen.
Da viele Unterkünfte geschlossen haben, ist man im Winter fast gezwungen, den Cabot Trail - insgesamt etwa 300 Kilometer - an einem Tag zu umrunden. Größere Ortschaften mit ganzjährig geöffneten Unterkünften befinden sich nur jeweils zu Anfang und Ende bzw. in den zu dieser Jahreszeit weniger spektakulären Teilen des Cabot Trail. Dazwischen befindet sich das atemberaubend schöne Hochland, wo es neben der wilden Natur nichts gibt, außer ein paar hölzerner Schutzhütten entlang des Highways, falls man bei Schnee und klirrender Kälte nicht mehr weiterkommt. Zwischen den Hochland-Bergpässen gibt es ein paar Täler, in denen vereinzelt Touristenunterkünfte stehen, die, soweit ich das überblicken konnte, aber allesamt geschlossen waren. Überall der gleiche Hinweis "Closed for Season" oder "No vacancies". Die kurzen Wintertage, das unberechenbare Wetter im Hochland sowie der fehlende Mobilfunkempfang tragen das Übrige dazu bei, dass man bemüht ist, vor Sonnenuntergang zumindest das Hochland durchquert zu haben.
So habe ich es vorgestern auch gehalten, als ich den Cabot Trail entgegen dem Uhrzeigersinn umrundet habe. Gestartet von North Sydney aus, bin ich mit der Fähre bei Englishtown in den Cabot Trail eingebogen. Das Wetter war bis auf wenige Stellen sehr gut, teilweise sogar perfekt für diesen Trip: Viel Sonne und etwas Schnee bei schnee- und eisfreien Straßen. Nur an einigen Stellen wurde es etwas ungemütlich.
Was man auf dem Cabot Trail zu sehen bekommt, ist tatsächlich atemberaubend, auch im Winter. Und es hat auch was Gutes, wenn man den Cabot Trail im Winter macht: Man hat alle Spots für sich alleine, da wirklich extrem wenige Besucher unterwegs sind. Im Hochland sind mir gerade mal 4 Autos entgegenkommen - eine Straßenwacht, ein Camper und zwei Pickups. In meiner Fahrtrichtung war im Hochland überhaupt kein Auto unterwegs. Alles in allem war es eine tolle Erfahrung, obwohl teilweise etwas mulmig war.
Gestern wollte ich den Cabot Trail nochmal im Uhrzeigersinn fahren, aber das Wetter hat leider nicht mitgespielt: Bereits im Flachland hat es teils heftig geschneit. Ich bin ein paar Kilometer ins Hochland reingefahren, als mir dann aber ein dicke graue Schneewand am Horizont entgegen kam, hab ich kehrt gemacht. Keine Ahnung, ob man die Serpentinen und teilweise recht starken Steigungen mit Alljahresreifen schaffen kann. Auf Nachfrage vor Ort bekam ich ein freundliches aber überzeugendes "It's winter tires what everybody has here!" Warum also als ortsunkundiger Tourist das Risiko eingehen?
Beginnen möchte ich mit einer Aufnahme, die gestern früh entstanden ist. Ich finde, das Motiv zeigt ganz gut die Gegensätze in der Region. Im Indian Summer ist dieser rote Stuhl ein schöner Platz zum Verweilen, mit dem womöglich besten Panorama in ganz Atlantikkanada. Bei Temperaturen von etwa -20 Grad Celsius windchill, wie sie gestern an der Küste waren, ist das sicher einer der gefährlichsten Plätze zum längeren pausieren. Links schlängelt sich der Hochland-Highway durch die Wälder.
20) Stuhl zum Verweilen