@ytboy [Achtung langer Text:]
Ich stand vor einiger Zeit vor einer ähnlichen Entscheidung. Vielleicht helfen Dir meine Erfahrungen ja weiter, gerade in Zeiten ohne Testmöglichkeit im Laden. Ich beschreibe mal ausführlich, was ich ausprobiert habe und was sich für mich letzten Endes als Quintessenz herausgestellt hat.
Allgemein läuft es immer auf einen Kompromiss hinaus und die Frage: Auf wieviel Bildqualität will ich verzichten, wenn ich Gewicht und Größe sparen will?
Wie Du habe ich lange mit der Canon 5D Mk1 fotografiert, für einzelne Projekte auch mit der 5DMkIII bzw. IV. Um im Urlaub leichter und beweglicher zu werden, habe ich mir parallel erst eine EOS100D, dann eine EOS800D gekauft. Dazu drei Zoom-Objektive: 10-18 STM, 18-55 STM und 55-250 STM. Diese Objektive sind sehr leicht, sehr erschwinglich und optisch ok. Das 55-250 STM ist sogar richtig gut und meine bevorzugte Brennweite. Mein 10-18 STM ist am Rand nicht so optimal, aber dafür ist es leicht und günstig. Das 18-55 STM habe ich irgendwann durch ein kopflastiges Sigma 17-50 ersetzt. Es ist eben deutlich schwerer und etwas lichtstärker. Optisch hat es nicht die erhoffte Verbesserung gebracht, zudem pumpt der AF deutlich öfter als beim Canon Standard-Zoom.
Ein weiterer Vorteil: Da ich bei Canon geblieben bin, waren mir die neuen Kameras gleich vertraut. Ich musste mich nicht groß umstellen und nicht erst lange den passenden Knopf oder Menüpunkt suchen, was natürlich Zeit spart.
Auch wenn viele keinen oder kaum einen Unterschied sehen: Crop-Aufnahmen erreichen meiner Meinung nach selten die ruhige Klarheit einer 5D oder anderer VF-Kameras. Erst recht, wenn man seine Bilder bei 100 % anschaut. Die einstelligen Canons mit einem sehr guten Objektiv kommen da vielleicht noch am nächsten ran. Mit meinem Set bin ich jedenfalls relativ leicht unterwegs und kann einen weiten Brennweitenbereich von 16 bis 400 mm (bezogen auf KB) abdecken. Trotzdem bin ich überzeugter VF-Fan.
Die EOS800D ist nur wenig größer als die 100D, mittlerweile gibt es schon die EOS250D als Nachfolgerin. Meine 100D ist jedenfalls sehr kompakt und sehr leicht, der Flüstermodus beim Auslösen ist klasse, den vermisse ich bei der deutlich neueren 800D. 24 MP gegenüber 18 MP machen in der Praxis keinen großen Unterschied, finde ich. Lieber 18 MP scharfe Pixel als leicht weichgespülte 24 MP. Klar, erst mit sehr gutem Glas kann der Sensor zeigen, was er kann. Wichtig ist auch, ob der Fokus gesessen hat oder nur fast. Die 45 Kreuzsensoren der 800D konnten sich gegenüber dem einen Kreuzsensor der 100D wider Erwarten nicht durch sichtbar bessere Schärfe bemerkbar machen. Die 100D ist mir im Vergleich sogar sympathischer, weil sie noch kompakter ist und sie den Flüstermodus hat, bei dem der Spiegelschlag gedämpft ist.
Man kann mit beiden Crop-Kameras schöne Bilder machen, ihr Look ist aber m. E. schon ein anderer als der einer 5D. Normaler, unspektakulärer, die Bilder mit der 5D sehen eher nach Kino aus, sind emotionaler, einfach interessanter.
Seit gut einem Jahr fotografiere ich jetzt auch mit der Sony A7III. Noch bessere Bildqualität als die Canon VF-Kameras, Augen-AF bei Portraits, Fernbedienbarkeit per App und etwas mehr Kompaktheit durch den Wegfall des Spiegels, das habe ich mir von der Sony versprochen.
Ergebnis: Wirklich super Bildqualität, tolle Akku-Ausdauer, etwas kompakter, was sich für mich überraschenderweise als Nachteil herausgestellt hat. Denn durch ihre Kompaktheit liegt sie nicht so gut in der Hand, zum Beispiel hatte der rechte kleine Finger keine Auflagemöglichkeit, sodass ich mir einen L-Winkel dranmontiert habe, der die Kompaktheit schon wieder relativiert hat.
Keine Frage: Die A7III ist eine super Kamera. Doch obwohl die Canon 5Ds größer sind, liegen die mir persönlich viel besser in der Hand. Sie fühlen sich viel „weicher“ und geschmeidiger an als die kleinere A7III, deren Griff sich für meinen Geschmack zu kantig und wenig bequem anfühlt. Sprich: Die Anfassqualität sollte man nie außer acht lassen. Ich habe keine kleinen Hände, aber auch keine Wurstfingerpranken. Aber selbst nach einem 6 Stunden-Shooting kann ich eine 5D noch gut halten, weil ihre Form besser zu meiner Hand passt als die der Sony. In puncto Gewicht schenken sich meine Sony und die Canon 5Ds wenig: Beide Rucksäcke sind fast gleich schwer, da die Sony-Objektive zum Teil noch schwerer sind als die von Canon. Sobald man mehr als ein 24-105 (was schon sehr viele Bereiche abdeckt) mitnimmt, wird’s eine Schlepperei. Als neues "Arbeitspferd" ist die A7III prima, Spaß macht sie aber erst, wenn ich die Bilder anschaue.
Für die Reise packe ich daher noch immer eine der Canon-Crop-Kameras mit den drei Zooms ein.
Alternativ dazu haben wir im Büro eine ältere Sony A6000 Crop-Kamera, die sehr kompakt ist und verdammt gute Bilder macht: fein aufgelöst und klar, für mich qualitativ vielleicht sogar besser als die Canon-Crop-Kameras. Eine aktuellere Version, wie die 6400/6500/6600, könnte für Dich gut passen. Mit einem Sigma MC-11-Adapter könntest Du sogar Deine Canon-Objektive mit AF verwenden.
Zwischendurch habe ich auch mal die Fuji XT-20 ausprobiert. Von der Bildqualität hatte ich mir aber auch mehr versprochen. Deshalb habe ich sie nicht gekauft.
Jetzt kommt’s: Neulich ist mir eine Olympus OM-D EM-1 MkII zugelaufen. MFT kenne ich von meiner Lumix GH-2. Die hat mich damals aber nicht so überzeugt: sehr frühes Rauschen durch den kleinen Sensor, die saubere Klarheit hat mir da gefehlt. Schärfe und Auflösung sind mir einfach wichtig. Das hat sich aber im Lauf der Jahre auch im MFT-Bereich gebessert: Auch hier sind die Sensoren mit der Zeit natürlich besser geworden.
Ein Verkäufer in meinem Foto-Laden war großer Olympus-Fan. Er hat immer 60 x 80 cm Abzüge auf den Tisch gelegt, die trotz ISO 1600 wirklich knackscharf waren. Da konnte man echt nicht meckern.
Um Olympus habe ich trotzdem immer einen Bogen gemacht. Nicht nur wegen der Rauscherfahrung mit der GH-2, auch weil mir die Olympusse nie wirklich gut in der Hand lagen. Die EM-1 MkII jetzt dagegen schon. Sie ist nicht winzig, etwa so groß wie die A7III. Die Ergonomie der Olympus ist aber für mich deutlich angenehmer.
Was auffällt, ist, wie unglaublich durchdacht die Kamera ist. Hier noch ein Rädchen, da noch eine Zusatzfunktion, die sonst keiner hat, einen super Stabilisator im Body, Wetterschutz, Kälteschutz, also eine echte Outdoor-Waffe. Das macht Spaß. Gekauft habe ich sie, weil sie die einzigartige LiveComposite-Funktion hat, die fürs Light Painting von Vorteil ist.
Darüber hinaus sind die günstigen Festbrennweiten optisch klasse (und schon bei Offenblende sehr brauchbar), dazu echt winzig, leicht und im Vergleich sehr günstig. Die lichtstärkeren Festbrennweiten sind wieder deutlich größer, schwerer und teurer, auch die lichtstarken Pro Zooms bringen mit noch besserer Qualität auch mehr Gewicht. Aber: Der winzige Sensor braucht sehr gutes Glas, um sehr gut abzubilden. Ein 14-42er Billig-Standard-Zoom macht wenig Spaß. Richtig gute Qualität bietet Olympus aber wie gesagt schon bei den wirklich günstigen 1.8ern mit 25, 45 und 75 mm (= 50-150 mm in der KB-Welt).
Wer will, findet auch einige lichtstarke 1.2er, die f2.4 am Vollformat entsprechen. Auch das 12-100 mm Suppenzoom soll deutlich besser sein als entsprechende Pendants aus dem Crop-Lager.
Ergebnis: Mit Olympus kann man richtig Gewicht sparen und dazu noch Spaß haben. Auch die Abbildungsqualität der Farben ist top. Sowohl die Sony als auch die Olympus lösen ohne Spiegel geräuschlos aus. Oft wird über das Sony-Menü gemeckert: Ich finde es aber deutlich besser als das vertikal angeordnete der Olympus. An das muss ich mich erst gewöhnen.
Ebenfalls einzigartig bei Olympus: Die vielen sehr umfangreichen Firmware-Updates, die aus einer vier Jahre alten Kamera zuletzt wieder eine top-moderne Version gemacht haben. Alles wird weiter optimiert, neue Funktionen kommen dazu, einfach der Hammer. Wie es nach dem Verkauf der Olympus-Kamerasparte an JIP weitergeht muss man abwarten. Offenbar liegt der Schwerpunkt künftig auf dem oberen Marktsegment. Schön wäre, wenn die Kamera-Firmwares weiter so gut gepflegt würden.
Wie auch immer: In den letzten Jahren sind viele von Canon weggegangen – zu Sony u.a. wegen des Dynamik-Umfangs oder zu Olympus wegen Rücken.
Wie Christian zum Beispiel von der 5DMkIII auf die EM-1:
http://www.meisterdeslichts.com/Von_Canon_zu_Olympus.pdf Sehr beeindruckend seine Geschichte und erst recht seine Bilder. Es gibt genügend Beispiele dafür, dass man mit Olympus-Kameras hochprofessionell fotografieren kann,
Ich selber bin erst dabei, mich in die Oly-Welt reinzuarbeiten, aber ich glaube, das könnte für unterwegs ein System sein, das zu mir passt.
Wäre da nicht noch eine Kameralinie, die ich gar nicht auf der Rechnung hatte: die Sony RX10-Bridge-Serie. Durch Zufall bin ich im Sommer für ein paar Monate an eine RX10III gekommen mit ihrem Super-Zoom von 24 bis 600 mm. Die Abbildungsqualität ist richtig gut. Trotz des noch kleineren Sensors im Vergleich zu den Crop- bzw. MFT-Kameras muss sie sich wirklich nicht verstecken. Der AF der RX10III schwächelt zwar (nur) beim Scharfstellen auf Wolken bei bedecktem Himmel, die RX10IV mit ihrem Phasen-Autofokus sollte das noch deutlich besser können. Aber im Normalfall ist der AF sehr schnell und sehr zuverlässig.
Und vor allem: Kein Objektivwechseln und -schleppen mehr. Wie oft sind mir im Urlaub Szenen durch die Lappen gegangen, weil ich gerade das falsche Objektiv dranhatte. Mit der RX10 bin ich immer schussbereit, weil ich immer das richtige Objektiv dranhabe, mit einem Riesenzoombereich für deutlich unter 2000 €, dazu eine richtig amtliche Bildqualität, eine sehr geringe Naheinstellgrenze, super Video-Qualität und nicht zuletzt eine Top-Anfassqualität: Die RX10 verschmilzt fast mit meiner Hand. Bei allen Vergleichen hat sich für mich herausgestellt, dass die Ergonomie darüber entscheidet, ob ich die Kamera gerne aus der Tasche nehme oder nicht. Für mich ist die RX10 unterm Strich der beste Kompromiss für unterwegs.
Ich hoffe, jetzt bist Du nicht noch unschlüssiger. Aber vielleicht hilft Dir ein bisschen second hand Erfahrung doch beim Abwägen der Pros und Contras.
Gruß
Spicer