.... Frechheit ? Naja, etwas starker Tobak. Mangel ? Abhängig von den eigenen Präferenzen. Es ist ja, wie hier geschrieben wurde, seit Jahren bekannt. So ganz kann ich die Entrüstung jetzt nicht verstehen.
Wer bei einer Kamera bestimmte Funktionen braucht, kauft halt die, die diese Anforderungen erfüllt. Es sagt auch niemand : Sony kann kein Fokusstacking, eine Frechheit, ich schreibe, aber die tun nichts. Aber der jenige fotografiert weiter mit diesen Einschränkungen und ärgert sich.
Ich gönne dir deine schlichte Sicht der Dinge. Aber andererseits solltest du einen Blick über deinen Tellerrand hinaus nicht gleich so niedermetzeln.
Denn stell dir bitte mal ein anderes Szenario vor: Ein Anwender beginnt mit, sagen wir mal, Capture One Pro Version 5 oder 6, damals noch unter OS X auf einem Mac. Und zwar, weil C1 einzige RAW Converter ist, der wirklich und nicht nur "anscheinend" mit Bearbeitungen in CMYK-Farbräumen zurecht kommt. Damals sah es noch aus, als würde sich Phase One ernsthaft bemühen, die Software fehlerfrei zu halten und zu verbessern (ich meine damit definitiv nicht "mit Features vollzumüllen").
Dieser Anwender hat einerseits hauptsächlich mit Buchproduktion (
https://www.weinzettl.info/aktuelle-buecher/) zu tun und nutzt daher begeistert die wirklich guten Möglichkeiten, Bilder aus verschiedensten Kameras verschiedener Marken farblich aufeinander abzustimmen. Die damals noch wenigen Fehler kann er mit Workarounds umgehen. Und abgesehen davon gibt es noch einen regen und vernünftigen Kontakt mit dem Phase One Support.
Da, mit den Jahren erhöht Phase One laufend die Preise, und das beträchtlich. Schon nicht mehr so lustig, aber die Farbausgabe ist immer noch unerreicht gut. Der Mac weicht als Hauptrechner einer Windows Workstation. Danach werden Kataloge eingeführt, bis dahin gab es nur Sessions. Die Kataloge werden für diesen Anwender jetzt schon interessant, weil zur Buchproduktion auch noch die Verwaltung großer Datenbestände hinzugekommen sind. "Super, das passt genau!" denkt er sich und irrt.
Denn ab hier wird es - nur unter Windows - schon recht unlustig. Die Fehler (ganz abgesehen von den seltsamen Mängeln) werden deutlich mehr. Ich habe dazu eine fünfteilige Review (mit teilweiser Bedienungsanleitung geschrieben, auf die ich bis heute noch rege Resonanz bekomme. Wen es interessiert, mag sich gerne bedienen:
https://www.weinzettl.info/2018/10/15/capture-one-pro-v11-eine-reise-ins-abenteuer/
ganz unten findet der geneigte Leser die Links zu den weiteren Teiles der Review.
Warum funktioniert Capture One noch immer recht gut unter MacOS, aber nicht ähnlich gut unter Windows? Antwort mag der Support geben. Als ich gewahr wurde, dass einige der Fehler, die ich für die Version 11 vermeldete, nicht nachvollzogen werden konnte, habe ich doch einmal nachgefragt, ob die Probleme auch wirklich unter Windows getestet wurden. "Nein, ich habe hier überhaupt keinen Windows-PC." war die Antwort. Eine fast gleichlautende Antwort gabe es auch noch zur V20. Ja, die Windows-User sind uns wurscht...
Irgendwann schlägt dann das "große Funktionsupdate" der Version 20 auf. Und ab da wird es echt zur "Frechheit", was einem hier um relativ viel Geld geboten wird. Phase One bzw. der neue Besitzer (Axcel) hat Capture One sozusagen abgespalten und den Support blitzartig in eine Zweiklassen-Gesellschaft verwandelt: Nur mehr Besitzer von Phase One-Kameras und Objektiven behalten das, was man Support nennen kann. Alle andere Kunden bekommen kaum mehr Antworten, und wenn überhaupt, dann ernst nach Wochen und Urgenzen.
Zusätzlich aber hat man bei diesem Update, das durchaus reizvolle Verbesserungen birgt, alte Fehler der Windows-Version behalten, aber zusätzliche, teils unglaublich Fehler neu hinzugefügt. Z.B. lässt ein Zoom ins Bild zwecks Reparatur sofort und bei fast allen Usern seltsame Quader schwarz, andere Teile das Bildes hingegen weiß erscheinen. Diesmal hilft auch der Standard-Rat des Supports ("Schalten sie die Hardwarebeschleunigung der Grafikkarte ab!") nichts. Ja, ich weiß, Open CL wird zwar beworben, funktioniert unter Windows seit Jahren aber nicht bzw. nur selten, wiewohl man für die V20 und 21 hier Verbesserungen vorgenommen hat. Aber das ist es diesmal nicht. Immerhin wird dieser Fehler für alle, die sich die - wieder teurere - Version 21 leisten wollen, ausgebügelt. Eine Fehlerkorrektur für V20 kommt nicht und wird auch nicht kommen.
Nun, warum kauft sich der Anwender nicht einfach, wie du es vorschlägst, eine andere Software? Weil er einige Jahre zur Bearbeitung der vielen Bilder inkl. Verschlagwortung etc. benötigt hat. Diese Bearbeitung könnte er jetzt komplett in den Ofen stecken, sie wäre in keine andere Software übertragbar, gerade noch die Verschlagwortung könnte übernommen werden. Aber seine Lebenszeit ist auch nicht mehr endlos, er könnte seinem designierten Nachfolger also nur mehr Bruchstücke der riesigen Sammlungen übergeben.
Photoshop kann relativ problemfrei adäquat ersetzt werden, bei RAW Convertern ist das nicht so einfach. Also vergisst er einen nochmaligen Umstieg wieder. Er wird mit den Fehlern leben müssen. Aber ärgern darf es ihn schon, oder?