Wenn man das Problem aufdröselt, kommt man zu einem Dilemma, was nicht zu lösen ist. Rein juristisch ist die Sache recht klar, moralisch ziemlich eindeutig. Wenn jemand nicht fotografiert werden möchte, ob jetzt als Beiwerk oder Hauptmotiv, dann ist es unmoralisch, es trotzdem zu tun. Egal, ob das nun Konsequenzen für den Fotografen hat oder nicht.
Leider sind aber viele gute Fotos nur zu machen, in dem das Recht am eigenen Bild, oder das Recht, nicht fotografiert zu werden, gebrochen wird. Das war schon in der Vergangenheit so, auch wenn es weder in juristisches Recht gegossen war noch es Kläger dagegen, oder Mensch, die sich verletzt fühlten, gegeben hat. In aller Regel haben die sich nicht getraut, etwas dagegen zu sagen, wenn sie sich unvorteilhaft in der Zeitung oder in der Galerie/im Fotoband wiedergefunden haben, meistens werden sie es nie bemerkt haben. Richtig war das aber trotzdem nicht.
Einer meiner Lieblingsfotografen ist Miroslav Tichý. Im Grunde war der Typ ein Spanner, der heimlich Frauen fotografiert hat. Moralisch das Allerletzte, die Ergebnisse sind aber trotzdem großartig.
Oder Vivian Maier. Eine der Größten ihrer Zunft. Ich vermute stark, dass dieser junge Mann nicht glücklich darüber gewesen wäre, wenn er wüsste, dass sein Bild so aufgenommen wurde:
https://wsimag.com/art/27955-vivian-maier
Frau Maier war das vollkommen egal. Vivian Maier soll sowieso eine sehr 'schwierige' unnahbare Frau gewesen sein.
Oder eines allerwichtigsten Fotos der Fotografie-Geschichte:
https://zeithistorische-forschungen.de/2-2005/4632
Welches Mädchen würde gerne schreiend, splitterfasernackt und noch dazu verbrannt die Straße lang rennend fotografiert werden? Das ist der Stoff, aus dem Alpträume sind.
Das letzte ist natürlich ein Extrembeispiel, wo man sagen könnte: Der Zweck heiligt die Mittel. Bei Maier und Tichý war es aber nichts anderes als Hobby-Fotografie, wenn auch extrem obsessiv und mit wahnsinnig guten Ergebnissen.
Man muss halt die Entscheidung treffen: Bin ich ein guter Mensch oder mache ich jetzt das (vielleicht) gute Foto. Moral und Kunst gehen oft nicht zusammen. Das ist nicht unüblich. Ich erinnere an viele zweifelhafte Rap-Texte. Die Novelle 'Tod in Venedig' von Thomas Mann, die eindeutig einen pädophilen Hintergrund hat.
Ich glaube, man darf sich das nicht schön reden, von wegen, das sei jetzt wegen der Kunst erlaubt, usw. Nein, es bleibt Unrecht und moralisch falsch. Wer das Foto trotzdem macht, sollte über mögliche Konsequenzen nicht rumheulen. Im günstigsten Fall wird man verklagt, kommt es weniger günstig, ist man Beleidigungen, Sachbeschädigung oder Körperverletzungen ausgesetzt. Ich mache das Foto dennoch, manchmal. Des Bildes wegen.