So, dann wollen wir mal.
Ich habe kürzlich zwei eintägige Kurse für die Mainzer Mitwirkenden gemacht, damit sie alleine ohne mich loslegen können. Dazu gibt es bereits zwei Standorte in der Umgebung, an denen sie die Aktionen durchführen werden.
Zur Einstimmung hier ein Extrakt aus dem Kurs:
1. Ziele und Aufgaben
● Unser Projekt dient nur denjenigen, die wir fotografieren.
● Die Art und Weise, wie wir arbeiten, ist darauf ausgerichtet.
● Unsere Kunden brauchen:
– Paßbilder
– Einzel- und Familienporträts
● Sie haben viel mitgemacht und brauchen auch im übertragenen Sinn ein gutes Bild von sich.
2. Besonders wichtig!
● Die Fotos GEHÖREN DEN KUNDEN. Alle Fotos werden nach der Aktion an den Organisator übergeben, nur er bewahrt sie für wenige Tage auf.
● Du mußt sie danach von allen Datenträgern löschen!
● Sie landen NIE in Portfolios, Webseiten, Facebook, und NIE in Cloudspeichern (Google Drive, Dropbox etc)
● Bilder in falschen Händen können tödliche Folgen für die Familien der Kunden in Kriegsgebieten haben!
3. Besonderheiten
● Innerhalb kurzer Zeit sehr viele Kunden vor der Kamera
● Häufig schwer traumatisierte Kunden, die kaum noch lächeln können, insbesondere Kinder
● Keine Zeit für individuelle Gestaltung, nur für Kinder können wir mehr machen, um sie zum Lachen zu bringen.
● Massive Sprachbarriere
4. Ein Rechenbeispiel - 3 Fotografen, 60 Kunden, 6 Stunden:
– 20 Kunden je Fotograf in 6 Stunden = 3,3 Kunden/h mit Retusche, das wären 17 Minuten
– Klingt nicht schlimm, ist aber knapp, denn ein Kunde braucht Paßbild, Einzel- und Familienporträt.
– In der Praxis hast Du pro Kunde nur 7-10 Minuten inklusive Retusche!
- Wo ist der Flaschenhals?
– Zu viele Einstellungen pro Kunde, sprich, dem Kunden werden zu viele verschiedene Bilder versprochen.
– Viel zu viel Zeit für die Retusche
– Zu umständliches Handling
– Reibungsverluste zwischen Helfern
5. Konsequenzen aus gemachten Erfahrungen
– Der Kunde (!) sucht an Deinem Laptop 1 Paßbild, 1 Porträt, 1 Familienporträt aus, nicht mehr.
– Jeder Fotograf retuschiert seine Bilder selbst. Keine Ausnahmen von dieser Regel!
– Keine Beleuchtungs- und Retuscheorgien, sondern solides Handwerk.
– Wir machen, was wir können – keine Experimente!
– Wir standardisieren die Abläufe.
– Wir fotografieren weniger.
– Wir verwenden nur 2-3 Beleuchtungsmethoden.
- Wir verwenden die Zeit nicht auf tolle Effekte sondern auf den menschlichen Kontakt.
- Nur für Kinder wird mehr gezaubert.
6. Material – was mitbringen?
● Kamera mit vollen Akkus und Ladegerät
● Leere (!) Speicherkarten
● Porträtobjektiv (leichtes Tele) und Normalobjektiv (für Gruppenaufnahmen)
● Laptop, Netzteil (!), Kartenleser (!), Kabel (!)
● Verlängerungskabel und Mehrfachstecker
● Proviant (vorher auch gut frühstücken)
● NICHT mitbringen: Alkohol und andere Drogen
● Wir können Requisiten gebrauchen, vor allem für die Kinder sind extrem gut:
– Luftballons und Heliumflasche
– Pustefix
● Bitte solche Mitbringsel vorher mit den anderen Gruppenmitgliedern abstimmen.
7. Die Laptops
● JEDES Laptop und JEDER Datenträger wird vorab mit einem aktuellen Virenschutzprogramm getestet! Keine Ausnahme von dieser Regel!
● Falls möglich, Bildschirm kalibrieren. Falls nicht möglich, mit Testbild einstellen.
● Vorher Festplatten freiräumen, Datenträger überprüfen und defragmentieren
8. Retuscheprogramme
● Zum Einlesen und zur RAW-Entwicklung:
– Lightroom, Apple Aperture, Capture One; Opensource: darktable & LightZone
● Manuelle Retusche:
– Adobe Photoshop; als Opensource: Gimp
● Halbautomatische Porträtretusche:
– Portrait Professional (30-100 Euro je PC/Mac)
● Paßbilder:
– Passbildgenerator.exe (gratis, Windows, schnell und einfach)
9. Der Ablauf
● Die Abläufe sind standardisiert, damit wir den Kundenansturm bewältigen.
● Alle Schritte werden darauf optimiert, daß sie zügig ablaufen und die nachfolgenden Schritte unterstützen
10. Der Ablauf – Aufbau
● Tische, Stühle, Kabel, Laptops, Drucker etc. aufbauen. Halte es übersichtlich, weil Deine
Geräte sonst abhanden kommen könnten (es gibt auch unehrliche Menschen!)
● Beleuchtung aufstellen, mit dem Belichtungsmesser einmessen, Werte notieren, an Kameras einstellen
● Bodenmarkierungen anbringen, damit die Kunden wissen, wo sie sich hinstellen sollen
11. Der Ablauf – die Kunden
● Natürlich wollen alle auf einmal drankommen.
● Wir verabreden mit den Betreuern der Kunden, daß sie in kleinen Gruppen zu uns kommen – das klappt mehr oder weniger. Also: weniger. Stell Dich darauf ein.
● Es ist sinnvoll, daß die Wartenden schon beim Fotografieren zusehen, das senkt die Hemmschwelle und ist oft lustig. Wir bauen deshalb eine Sitzecke für die Wartenden auf. Ausnahme: traumatisierte oder schwierige Kunden.
● Wichtig: Du weißt nicht, was der Mensch vor Dir erlebt hat und aus was für einer Kultur er kommt. Berührungen, um denjenigen richtig hinzustellen, die Kleidung zu richten, das Haar in Ordnung zu bringen etc. sind absolut tabu! Benutze einfach Zeichensprache.
12. Der Ablauf – Styling
● Nicht jede(r) will gestylt werden. Wenn, dann geschieht das nur mit Einverständnis des Kunden durch eine geeignete Person. Wenn der Kunde mit Ausdruck oder Körpersprache zu verstehen gibt, daß ihm das unangenehm oder peinlich ist verzichte darauf!
● Hautprobleme treten im Studiolicht mit tollen Kameras hervor und werden vorher kaschiert.
Insbesondere sollen die Kunden nicht glänzen.
● Das Ziel ist ein natürliches, nicht überstyltes Porträt, kein Party-Makeup.
● Das Makeup soll vor allem die Zeit für die Hautretusche minimieren.
13. Der Ablauf - Fotografieren
● Weiße & schwarze Hintergründe (aus weiß machen wir grau)
● Beleuchtungssets
1. Sehr große Softbox halboben links (Rembrandt)
2. Große Softbox oben vorn, Reflektor unten (Clamshell)
● Kameras auf M einstellen
– Synchronzeit einstellen (steht in der Anleitung, meist 1/60-1/200)
– Blende meist 5,6-11, wird vorgegeben
– ISO 100
– RAW, beste Qualität
14. Der Ablauf - Umgang mit dem Kunden vor der Kamera
● Vor Dir sitzt ein menschliches Wesen, das ein schweres Schicksal hatte, aber weder Mitleid noch
Almosen will und das Du nicht wie ein Stück Vieh abknipsen darfst.
● Sei offen und freundlich, als wäre es ein Freund, der eine harte Zeit erlebt, und gib ihm mit Deiner positiven Stimmung etwas mehr Zuversicht.
● Wenn so ein gutes Bild herauskommt – das ist wahrscheinlich – dann ist das ein schöner
Nebeneffekt.
● Sieh genau hin. Rede mit dem Kunden (mit Händen und Füßen) und sei ganz für ihn da.
● Mach nicht so viele Bilder. Nimm Dir Zeit für jedes Bild, aber mach wenige.
● Viele glauben, daß sie beim Blitzen blinzeln, obwohl sie fast immer Sekundenbruchteile nach
der Aufnahme blinzeln. Zeig daher Deinem Kunden auf dem Kameradisplay zwischendurch
die Bilder.
15. Der Ablauf - Bildauswahl
● Karte einlesen in einen bereits vorbereiteten Ordner
● Mit dem Kunden das beste Bild mit Sternchen markieren:
∗ = Mein Gott, sehe ich da doof aus.
∗∗ = Kaum zu ertragen
∗∗∗ = Naja, geht so.
∗∗∗∗ = Verdammt gut, aber da geht noch was.
∗∗∗∗∗ = Ich bin so schön, ich geh nach Hollywood.
Reduzieren, reduzieren, reduzieren, auch wenn's schwer fällt!
16. Der Ablauf - Retuschieren
● Was wir nicht durch Makeup und weiche Beleuchtung schaffen müssen wir per Hand nacharbeiten.
● Hauptthema bei der Porträtretusche sind fast immer Haut, Augen, Zähne:
– Hautfehler wegstempeln
– Augen aufhellen
– Zähne weißen
17. Der Ablauf - Übergabe
● Die meisten Kunden brauchen Bilder in diesen Formen:
– Biometrische Paßbilder als Druck auf 10x15cm
– Porträts auf CD/DVD oder anderem Datenträger
– Evtl. können wir Datenträger an Betreuer vor Ort übergeben.
– Alle Bilder (unretuschiert und retuschiert) am Schluß an den Organisator übergeben, nur er bewahrt für ein paar Tage ein Backup auf, denn manchmal kommen Nachfragen.
19. Der Ablauf – Regel Nr. 1
Erst dann, wenn ein Fotograf seine Bilder aus einem Shooting selbst ausgewählt, selbst bearbeitet und selbst übergeben hat, macht er weitere Bilder!
20. Der Ablauf - Abbau
● Plane so, daß Du auch nach dem offiziellen Ende des Events noch Zeit hast. Fast immer dauert es länger, und dann müssen wir abbauen und saubermachen. Laß die anderen Helfer nicht hängen!
● Vor dem Verlassen der Räume wird noch einmal geprüft, daß alle die Bilder an den Organisator des Events übergeben und dann von allen eigenen Datenträgern gelöscht haben.