Moin,
dieser Artikel wurde und wird immer noch gerne zitiert hier im Forum. Er steht im Original im Blog von LensRentals in den USA und wurde dort von Roger Cicala gepostet.
(siehe:
http://www.lensrentals.com/blog/2008/12/this-lens-is-soft-and-other-myths)
Ich habe einmal versucht den amüsanten Artikel in Deutsche zu übertragen:
Eines der häufigsten Beispiele für Unlogik, dem wir bei LensRentals begegnen, ist die Aussage: „Das Objektiv ist weich, hat eine vorn liegende Schärfeebene (Frontfokus) oder hat eine rückwärtige Schärfeebene (Backfokus)“. Um nicht falsch verstanden zu werden, es gibt tatsächlich schlechte Exemplare von Objektiven, bestenfalls aber im Bereich von 3% bis 7 % des jeweiligen Typs. Wir wissen auch, dass trotz unserer Ausgangskontrollen (bei LensRentals) eines von 400 Objektiven Transportschäden erleidet und bei Ankunft nicht funktioniert. Manchmal sind Elemente des Objektivs tatsächlich defekt oder dejustiert, jedoch ist dies nicht der Regelfall. Für gewöhnlich ist der Gegenstand der Fotografie weich abgebildet, weil das Objektiv nicht präzise fokussiert.
In drei von vier Fällen führen wir folgenden Dialog: „Das Objektiv, das Sie mir geschickt haben, hat einen Frontfokus: Es ist nicht gut.“ - „OK, wir schicken Ersatz bis morgen früh.“ Das ursprüngliche Objektiv kommt dann zurück und zeigt sich in einem Test als völlig in Ordnung. Der Kunde ist sehr zufrieden mit der Ersatzlieferung, die tadellos funktioniert im Gegensatz zur ersten. Was war also passiert? Es ist eigentlich recht simpel und fußt, wie bei den meisten Unlogik-Beispielen, in einer falschen Annahme: Der Kunde kennt seine Kamera als einwandfrei, da diese mit allen eigenen Objektiven fehlerfrei arbeitet; keines hat Front- oder Backfokus.
Die Auflösung des Rätsels liegt in der Definition von „einwandfrei“. Die Meisten nehmen an, das mit „einwandfrei“ ein „perfekt kalibriert“ gemeint ist. In Wirklichkeit sind Kameras wie alle anderen Fertigungsprodukte auch: Die Kalibrierung erfolgt in einem definierten Toleranzbereich. Wir sind nicht eingeweiht in die Toleranzbereiche, die Canon, Nikon oder die anderen Hersteller (mit Ausnahme von Zeis und Leica) als akzeptabel annehmen, daher legen wir eigenmächtig fest, dass Hersteller eine Kamera oder ein Objektiv als innerhalb der Spezifikationen erachten, solange sie weniger als +/– 3 Fokus-Einheiten von „perfekt“ entfernt sind. Wir können annehmen, dass gerade dieser Wert gewählt wird, weil sich alles innerhalb dieser +/– 3 Fokus-Einheiten auch innerhalb des Bereichs der Schärfentiefe einer großen Blende, beispielsweise f/2.8, befindet.
Angenommen, ich hätte ein Kameragehäuse, welches -2 Fokuseinheiten von perfekt entfernt ist sowie ein Objektiv mit +2 Fokuseinheiten. Beide entsprechen der Herstellerdefinition von „einwandfrei“, obwohl sie sicherlich nicht perfekt sind. Jedoch wäre die Kombination eines +2 Objektives an einer -2 Kamera absolut perfekt, ich liebte das Objektiv an meiner Kamera. Nach meiner tollen Erfahrung mit diesem einen Objektiv an einer Kamera, werde ich ganze Sonette in den verschiedenen Online-Foren darüber verfassen, wie toll dieses ist und jedem, dem es nicht gefällt, klar machen, dass er ein schlechter Fotograf sein muss. Ich wäre die am meisten gefürchtete Online-Lebensform geworden: ein FLAO (Fanboy with Loss of All Objectivity) [auf Deutsch ein VAJO (Verehrer mit Abhandengekommensein jeglicher Objektivität); der Übersetzer].
Was aber wäre, wenn das Objektiv -2 Fokuseinheiten vom theoretischen „perfekt“ entfernt wäre und ich würde es an mein -2 Fokuseinheiten vom „perfekt“ entfernten Gehäuse schrauben? Nun, es kommt darauf an. Wenn das Objektiv eine maximale Brennweite von f/4 hätte, wäre es vermutlich unwesentlich. Die Schärfentiefe eines f/4-Objektives würde sicherlich ein bißchen Front- oder Backfokus maskieren. Möglicherweise bemerkt man, dass das Objektiv ca. 9 cm vor einem Gegenstand bei 6 m fokussiert, wenn man die Pixel inspiziert. Da aber die Schärfentiefe 3 m beträgt, ist der Gegenstand noch im Fokus und das Objektiv erscheint einwandfrei. Ich würde das Objektiv als sehr gut beschreiben, aber nicht in komplette VAJOheit verfallen.
Wenn es sich aber um ein f/1.4-Objektiv mit sehr flacher Schärfentiefe handelt, wird der Frontfokus markant sein: der Gegenstand wird unscharf und weich erscheinen. Sofern ich weiß, wie ein Front-/Backfokus-Test gemacht wird, mag ich das Problem gefunden haben, aber hier ist der Rückschlag: Wenn ich das Objektiv zur Behebung an den Hersteller schicke, werden sie es prüfen und als einwandfrei zurückschicken, da es in Ordnung ist, was tatsächlich so ist, da es sich innerhalb der Spezifikation zeigt. Nur, wenn ich Kamera und Objektiv gemeinsam an den Hersteller zur Kalibrierung einsende, wäre die Tatsache, dass beide defokussiert sind, offenkundig und der Hersteller könnte kalibrieren.
Aber alles hat seinen Preis. Falls die Kamera-Kalibrierung nachjustiert wurde, um das Problem zu lösen, kann es nun sein, das andere Objektive, die zuvor großartig waren, nun einen Backfokus zeigen. Früher hatten viele Vollzeitprofis, die sich dieser Problematik bewusst waren, ihre komplette Sammlung von Kameras und Objektiven an den Hersteller gesendet, um alle gemeinsam kalibrieren zu lassen. Das war einer der Gründe, warum Canon und Nikon ihre Professional Services Gruppen formiert hatten. Die meisten von uns Gewöhnlichen behelfen sich irgendwie oder tauschen Exemplare solange gegeneinander aus, bis eines gefunden ist, dass an unserer Kamera scharf ist.
Das schlechte ist, das sehr viele Leute, die solches gemacht haben, sich dann in ihrem online Forum austoben und pauschale Aussagen machen wie: „Ich musste erst drei Exemplare ausprobieren, bevor ich dasjenige fand, das richtig kalibriert war.“ Was sie richtigerweise hätten sagen sollen, wäre gewesen: „Ich musste erst drei Exemplare ausprobieren, bevor ich dasjenige fand, das richtig
für meine Kamera kalibriert war.“ Die anderen zwei Exemplare mögen sehr wohl einwandfrei für jemanden anderes Kamera sein.
Wer ein paar Dutzend Exemplare eines jeden Objektives und jeder Kamera hat, so wie wir es haben, der findet schnell heraus, dass dies die banale Kamera-Realität ist. Das lustige an dem Ganzen ist, das insbesondere die teuren lichtstarken Objektive diese Problematik zeigen, weil ihre Schärfentiefe so gering ist und der fokussierte Anteil des Bildes so scharf ist im Vergleich mit dem unscharfen Anteil. Das 200 Euro teure f/5.6 Zoom wird nicht das geringste Frontfokusproblem zeigen, weil die Schärfentiefe bei weit über einem Kilometer liegt. Dagegen hat die 2.000 Euro teure Festbrennweite eine Schärfentiefe von einigen wenigen Zentimetern und jegliche Probleme werden augenblicklich augenscheinlich (und der Besitzer zehnmal mehr darauf angelegt sein, das perfekte Objektiv haben zu wollen).
Die gute Nachricht ist, dass neuere Kameramodelle all dieses berücksichtigen und die Lösung an der Fingerspitze bereithalten. Folgende Kameramodelle verfügen über eine Mikro-Kalibrierungs-Einrichtung für Objektive: Canon 1DMkIII, 1DsMkIII, 5DMkII, 50D; Nikon D3, D3x, D300, D700; die Pentax K20D, die Olympus E-30 und E-620 sowie die Sony A900. Es ist überraschend, wie viele Leute diese Einrichtung nicht nutzen – es zu tun, ist ein wenig zeitraubend, aber wenn es einmal gemacht wurde, dann ist jedes Objektiv im Speicher der Kamera festgehalten und wird automatisch kompensiert, so dass jedes Objektiv auf einer nahezu perfekten Fokussierungsebene liegt, sobald es auf die Kamera geschraubt wurde. Ich finde, dass diese Einrichtung einen derart großen Unterschied für die meisten meiner besseren Objektive macht, dass meines Erachtens allein schon diese Einrichtung ein Upgrade auf eines der oben angegebenen Kameramodelle lohnenswert ist.
Schlechte Objektive (und Kameras) wird es weiterhin geben, jedoch wird die überwältigende Mehrheit der Front- und Backfokusprobleme der Vergangenheit angehören. Für all diejenigen von Euch, die diese Einrichtung nicht haben, werden wir auch weiterhin, so wie wir es immer getan haben, unser Bestes geben, damit ihr das Objektiv bekommt, das einwandfrei an eurer Kamera arbeitet, selbst wenn es bedeutet, Euch mit Ersatz zu versorgen.
Addendum
Neulich kam mir hierzu das größte Beispiel aus dem realen Leben überhaupt unter, in einem Online Forum, in dem der Poster erklärt: „Canon’s neue XXX Kamera ist beschissen“ (Ich habe die Namen eliminiert, so dass die Schmeißfliegen es nicht auffinden und wiederholen). Im Weiteren erklärt er, dass er ein Kameragehäuse über viele Jahre hatte sowie eine
handverlesene Sammlung von Objektiven, von denen er wusste, dass sie perfekt waren, weil er verschiedene Exemplare ausprobiert hatte, um das jeweils schärfste zu bekommen. Jetzt hatte er sich ein neues Kameragehäuse gegönnt und alle seine Objektive waren beschissen. Nun hat er das Kameragehäuse zweimal ausgetauscht und alle sind immer noch beschissen. Damit haben wir das perfekte Beispiel von jemandem mit einer Kamera an einem Ende der Toleranz, der nach mehrfacher Auswahl einen Satz von Objektiven am anderen Ende der Toleranz hatte und nun generalisiert, dass alle neuen Kameragehäuse beschissen sind. Das eigentlich traurige daran ist, dass sein neues Kameragehäuse tatsächlich über eine Autofokus-Feinabstimmung verfügt, die er aber nicht einmal ausprobiert hatte. Stattdessen hatte er Exemplar nach Exemplar an den Händler zurück geschickt.
Roger Cicala